Der Duft des Anderen
doch. So schlimm ist das nicht. Ich meine, wir beide, wir betrügen Joachim doch auch. Und wenn er so veranlagt ist, dafür kann er nichts.«
»Dann hätte er mich aber nicht heiraten dürfen!«, schluchzte Monika. »Solche Männer müssen – sie müssen unter sich bleiben mit ihrer Krankheit.« Monika umarmte Jan heftig und Schutz suchend. »Homosexuelle sind asozial, und was sie miteinander tun, das ist so – so schmutzig. Jan, wenn es wahr ist, dann hat Joachim es mit seinem Professor – nein, das kann ich nicht glauben. Ein Professor! Jan, sag doch was!«
»Weißt du«, sagte er behutsam, »diese Veranlagung hat überhaupt nichts mit dem Beruf zu tun. Und außerdem stimmt dein Bild von ihnen nicht, das ist überholt.«
»Du verteidigst diese warmen Brüder?« Monikas braune Augen waren weit aufgerissen vor Empörung.
»Ich verteidige sie nicht. Ich will dir nur klarmachen, dass es kein Verbrechen wäre, wenn Joachim wirklich – ich meine, die Schwulen sind doch inzwischen so ziemlich integriert.«
Monika machte sich von Jan los. »Nimm bitte nicht dieses Wort in den Mund, das ist ja ekelhaft.«
»Was denn? Schwul? Das ist ein gängiger Begriff, wirklich. Das ist nichts Obszönes.«
»Obszön und widerwärtig ist alles, was mit ihnen zu tun hat«, rief Monika und schlug auf den Tisch. So aufgebracht hatte Jan sie noch nie erlebt. »Du weißt doch, wie sie es miteinander machen, ich meine, das weiß man eben. Und danach – danach hat Joachim mich angefasst. Das findest du harmlos?«
»Harmlos eben nicht.« Jan seufzte. »Nur bei Weitem nicht so schlimm, wie du es hinstellst. Diese Praktiken werden übrigens auch zwischen Mann und Frau …«
»Hör auf Jan!«, zischte Monika. »Von perversen Praktiken will ich in meinem Haus nichts hören. Das sind …« Sie musste Luft holen. »Das sind Dinge, von denen anständige Menschen nichts wissen sollten.«
Da sein männlicher Beistand offensichtlich nicht mehr gefragt war, ließ Jan sich wieder in den Sessel fallen. »Na gut, streiten wir nicht darüber. Was anderes. Wer mag dir diesen Zettel geschickt haben?«
»Keine Ahnung.« Monika nahm ihn und zerknüllte ihn. »In meiner Bekanntschaft gibt es keine Schmutzfinken. Vielleicht ein neidischer Kollege von Joachim.«
»Wenn es eine Lüge ist. Aber wenn nicht?«
»Dann …« Monika starrte Jan hilflos an. »Ich weiß es nicht. Das wäre das Ende.«
»Das Ende wovon? Von eurer Ehe? Die taugt doch lange nichts mehr.«
»Aber eine Scheidung ist fast genauso schlimm wie diese Sache hier.« Dabei zeigte Monika angewidert auf das zerknüllte Papier. »Wegen des Skandals, meine ich. Mein Vater würde einen Herzinfarkt bekommen, und was Luise – ich meine eure Mutter – dazu sagen würde, ist überhaupt nicht auszudenken.«
Jan glättete das Papier, faltete es zusammen und steckte es in seine Hosentasche. »Dann lass uns Nägel mit Köpfen machen, bevor die Verwandtschaft der Reihe nach umfällt. Die beiden Herren Verdächtigen sind um diese Zeit im Büro. Wir werden ihnen einen Besuch abstatten.«
***
Inge Lorenzen lugte flüchtig hinter ihrer Fächerpalme hervor. Sie hatte ein Phonodiktat zu schreiben, das war nicht ihre Stärke und forderte stets ihre ganze Aufmerksamkeit. Die Stimme ihres Herrn im Ohr, mühte sie sich mit einem ellenlangen Schreiben nach Brüssel ab. Als Jan in ihr Zimmer kam, winkte sie ihn gleich durch. »Der Herr Professor ist da, Doktorchen!« Bei Herrn von Stein erlaubte sie sich gern einmal eine Koseform.
Jan strich sich – darauf war er allein gekommen – kokett über die Stirn, sagte »danke, Frau Lorenzen«, und betrat das Allerheiligste.
Fünf Minuten später kam Monika herein, diese Taktik hatten Jan und sie sich ausgedacht. »Guten Tag, Frau Lorenzen, ich würde gern mit meinem Mann sprechen. Kann ich gleich durchgehen?«
Frau Lorenzen warf ihr einen halb ärgerlichen, halb verzweifelten Blick zu. Natürlich, während Kirchs Diktat – er wollte das Schreiben noch vor der Mittagspause sehen – strömten die Besucher. Und dann auch noch Frau von Stein, die so selten hier aufkreuzte. Sonst hätte Inge Lorenzen gern ein paar Worte mit ihr gewechselt, aber das Ende des Satzes hatte sie wieder nicht verstanden. Sie nahm seufzend die Kopfhörer ab. »Guten Tag, Frau von Stein, wir haben uns ja lange nicht gesehen. Ihr Mann ist gerade hineingegangen – zu ihm.« Sie wies auf die Tür zu ihrer Rechten. »Nehmen Sie doch einen Moment Platz. Wenn Sie wollen,
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