Der Duft des Blutes
Schachtel wieder auf, seine Stimme klang übertrieben fröhhch. „Wo sind Uwe und Klaus? Ich habe hier die Fotos von der Billstedleiche."
„Lass sie hier. Die beiden grasen gerade das Umfeld des Typen ab. Die haben heute noch mindestens vier Befragungen."
Die Kommissarin nahm die Schachtel und öffnete den Deckel. Sie warf einen flüchtigen Blick auf das heruntergekommene Reihenhaus, ein Fenster war mit einem Pfeil markiert, dann Aufnahmen von den Zimmern, in denen ein heilloses Durcheinander herrschte. Zwischen umgeworfenen Möbeln lagen schmutzige Kleidungsstücke und leere Bierdosen, im Bad dann Blut auf dem Boden und an den Wänden. Sorgfältig waren die Blutspritzer abgelichtet. Die Leiche selbst lag in der Badewanne, das Gesicht nach unten, die Beine angewinkelt. Sein T-Shirt hatte eine rostbraune Färbung angenommen. Zwei Stiche im Rücken konnte man auf dem Foto in seinem Rücken erkennen, doch die Kommissarin wusste, dass er noch mehr Messerstiche abbekommen hatte.
Fragend sah Sabine zu Björn hoch, der noch immer neben ihr stand, das Gesicht zu einer abwehrenden Grimasse verzogen.
„Nicht gerade schön", sagte sie mit einem Blick auf die Bilder.
Der Fotograf nickte. „Kein Sinn für Ästhetik, nur stumpfsinnige, brutale Gewalt."
Sabine zog die Stirn kraus. „Ich bezweifle, ob man bei einem Mord je von Ästhetik sprechen kann."
Am Dienstag, kurz vor Mitternacht, klingelte das Telefon. Sabine hatte gerade ein ausgiebiges Bad mit einer Tafel Nuss-schokolade und den drei Tenören beendet. In ihren weißen Bademantel gehüllt, das nasse Haar zu einem Knoten gedreht, tappte sie in den Flur und griff nach dem Hörer.
„Haben Sie mein Rätsel gelöst?", fragte eine tiefe, wohlklingende Stimme.
„Es geht um eine tote Frau, die vermutlich am Wasser und unter Bäumen liegt, doch wie soll ich sie mit diesen ungenauen Angaben finden? Wer ist sie?"
„Ronja", hauchte er ihr ins Ohr.
Sabine zuckte zurück. „Meinen Sie Edith Maas, die sich Ronja nennt? Was ist ihr zugestoßen? Wo ist das Kind?"
Er lachte leise. „Frau Kommissarin, Sie haben Ihre Hausaufgaben ja gemacht. Doch alles kann ich Ihnen nicht verraten."
Wut stieg in Sabine auf. „Hören Sie, Mord ist kein Spaß, also ersparen Sie mir diesen Quatsch und sagen Sie mir, wo die Leiche ist -und vor allem, wo ich das Kind finden kann."
„Haben Sie einen Stift zur Hand?", fragte er, ohne auf ihr Drängen einzugehen.
„Ja!"
„94 625340." Eifrig schrieb Sabine mit.
„Und was soll das Ganze nun?", rief sie in den Hörer, als er verstummte.
„Das werden Sie schon herausbekommen. Sie sind doch intelligent", schnurrte er amüsiert.
„Was sollen diese Zahlen bedeuten?", fragte sie noch einmal.
„Oh, verzeihen Sie, ich vergaß, Sie sind hier nicht aufgewachsen. Ihr Vater könnte Ihnen sicher behilflich sein, doch der alte Seemann ruht still in seinem tiefen Grab."
„Was hat mein Vater damit zu tun?", schrie sie, doch nur ein Tuten antwortete. Er hatte aufgelegt.
Sabine zitterte am ganzen Leib. Ihr war übel. Langsam ging sie in die Küche hinüber und brühte sich einen Pfefferminztee auf. In eine warme Decke gehüllt, saß sie kurz darauf im Wohnzimmer, trank Schluck für Schluck das heiße Gebräu und starrte auf die Zahlenreihe in ihrer Hand. Ab und zu fuhr ein Auto vorbei, Musik drang aus einer Kneipe gedämpft zu ihr hoch.
Vater, Zahlen, Seemann, dachte sie und lehnte ihre Wange an den noch warmen Becher. Plötzlich stellte sie ihn mit einem Knall auf den Tisch. Sie warf die Decke ab, lief ins Schlafzimmer und strich suchend mit dem Finger an den Buchreihen enüang. Endlich fand sie den alten Schulatlas. Hastig schlug sie ihn auf und blätterte, bis sie eine Karte fand, die Hamburg zeigte.
Ja, das war es! Hamburg lag bei ungefähr zehn Grad östlicher Länge und am dreiundfünfzigsten Breitengrad fünfunddreißig Minuten. Sie faltete eine Hamburgkarte auseinander und beugte sich tief über das Blatt. „Hier, irgendwo zwischen Pinneberg, Wedel und Rissen, muss sie liegen." Schaudernd schlug sie den Adas zu.
Sollte sie Thomas anrufen und die Gruppe alarmieren? Sollte sie ein Einsatzkommando anfordern und Hundeführer herbeordern? Was, wenn sich der Kerl nur einen Spaß erlaubt hatte? Unschlüssig trat Sabine ans Fenster und sah in den nächüichen Hof hinunter. Es war kurz nach eins.
Wenn ich jetzt anrufe, dann bekommen die Jungs von der 3. Mordbereitschaft den Fall, und wenn es sich als Pleite herausstellt, dann habe ich mir
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