Der Duft des Blutes
ein paarmal zur Kontrolle bei ihm gewesen sei, eine Behandlung jedoch nie notwendig gewesen wäre. Sabine schloss die Augen und versuchte sich Peter von Borgos Gesicht ins Gedächtnis zu rufen, doch es blieb neblig unscharf. Dennoch war sie sich sicher, dass sein aufblitzendes Lächeln nur makellose Zähne zeigte.
Sie blätterte weiter bis zu dem einzigen Foto von Peter Mascheck in der Akte. Es war unscharf und inzwischen verblichen. War der junge Mann dort auf dem Foto der Gleiche, der sich jetzt Peter von Borgo nannte? Schwer zu sagen. Er war schlank, hatte dunkles Haar und dunkle Augen, doch die Gesichtszüge waren zu undeutlich, um eine sichere Aussage zu machen.
Unzufrieden wandte sich Sabine wieder den Eltern zu. Eine ältere Dame beim Standesamt in Bremen konnte ihr weiterhelfen.
„Peter und Maria Mascheck starben am 13. März 1980. Er wurde achtundfünfzig, sie dreiundvierzig Jahre alt."
„War es ein Unfall?", fragte die Kommissarin erstaunt.
„Nein, es war Selbstmord. Ich erinnere mich noch an den Fall. Es war, glaube ich, in Hamburg, ja, in einem Hotel, sie haben sich gemeinsam das Leben genommen, mit einem Messer, die Pulsadern aufgeschnitten oder so. Das kam hier ganz groß in der Zeitung."
„Vielen Dank. Faxen Sie mir doch bitte die Familienstammdaten."
Auch die Hamburger Morgenpost und das Abendblatt und natürlich die Bildzeitung hatten über den Fall berichtet. Sabine ließ sich die Artikel und Berichte heraussuchen und brütete lange darüber.
Peter Maschecks Eltern hatten sich mit einem Skalpell die Pulsadern aufgeschnitten. Beide lagen, sich an den Händen haltend, in ihrem Blut auf dem Hotelbett. Arzt und Kripo konnten keine Fremdgewalt feststellen: keine Fesselspuren oder Hinweise darauf, dass andere Personen anwesend gewesen wären. Das scharfe Skalpell, das auf dem Nachttisch lag, trug die Finger ab drücke von Peter Mascheck senior. Die Kommissarin blätterte die Akte des LKA durch und sah sich die Fotos an. Peters Mutter stammte aus Spanien, daher das schwarze Haar und die dunklen Augen. Die blasse Haut musste er vom Vater geerbt haben, der als typischer Norddeutscher helle Augen, blondes Haar und eine blasse Gesichtsfarbe hatte.
Noch einmal musterte sie die Bilder. Welch friedlicher Gesichtsausdruck, dachte sie. Die weißen Bettdecken hatten sich dunkel gefärbt, und doch wunderte sich die Kommissarin, dass nicht mehr Blut zu sehen war. Zwei Menschen waren hier verblutet! Ihre Augen huschten über den Bericht des Arztes, doch dem war nichts Ungewöhnliches aufgefallen. Wahrscheinlich hatten sich die Matratzen unter ihnen vollgesogen. Irgendwo musste das Blut, das aus ihren geöffneten Adern geflossen war, schließlich hingekommen sein!
Das Erbe fiel vorläufig an die Schwester des Verstorbenen, Rosa Mascheck. Ein Anwalt wurde beauftragt, weitere Erben ausfindig zu machen. Dann, ein halbes Jahr später, wurde Sohn Peter als Erbe eingesetzt und die Vermisstenakte geschlossen. Die Kommissarin rief in der Kanzlei des Hamburger Anwalts an, der den Erben ausfindig gemacht hatte, und bat die Anwaltsgehilfin, die Unterlagen über den Fall herauszusuchen. Die junge Frau am anderen Ende der Leitung berief sich auf den Mandantenschutz und weigerte sich, ihr Einblick in den Fall zu gewähren.
„Hören Sie, Frau Miesinger, es geht um einen Mordfall, und ich muss mir ein vollständiges Bild vom Leben des Verdächtigen machen können", versuchte es die Kommissarin noch einmal. „Herr Wederang hat doch den Fall bearbeitet. Kann ich ihn bitte sprechen?"
„Herr Wederang ist tot, Frau Berner", widersprach die Anwaltsgehilfin vorwurfsvoll.
„Wann ist er gestorben?", fragte Sabine schnell.
„Oh, das ist schon ewig her. Warten Sie, 1981 oder 1982. Er hatte einen Autounfall. Ist zwischen Wedel und Pinneberg von der Straße abgekommen und gegen einen Baum gefahren. Ich weiß noch, dass es in der Nacht ziemlich gestürmt hat. Das war im Frühling -oder im Herbst? Jedenfalls war es kalt und hat die ganze Nacht geschüttet. Man hat ihn erst viele Stunden nach dem Unfall gefunden, und da war er schon tot."
„Und was ist mit seinen Akten passiert?", bohrte die Kommissarin weiter.
„Die sind hier noch irgendwo im Keller. Aber ich kann da gar nichts entscheiden. Ich gebe Ihnen den Herrn Doktor Esser, der ist seitdem der Chef."
Es klickte und raschelte, dann war es still in der Leitung. Endlich meldete sich der Anwalt.
„Esser! Ja, Frau Kommissarin, ich bin im Bilde. Legen Sie mir einen
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