Der Duft des Blutes
zu.
„Ach übrigens, Sie haben am Dienstag wirklich etwas versäumt. Das Konzert war traumhaft."
Die alte Dame blinzelte verwirrt. „Was für ein Konzert? Wovon reden Sie?"
„Oh, ich dachte, Ihr Neffe wollte mit Ihnen in die Musikhalle..."
Sie lachte belustigt. „Nein, wie kommen Sie denn auf so eine Idee? Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich ihn seit Jahren nicht mehr gesehen habe."
„So, so. Ach, was ich Sie noch fragen wollte. Hat Ihr Neffe eine Schwester?"
Abwehrend hob Rosa Mascheck die Hand. „Das ist ja schon eine Ewigkeit her. Die Kleine ist mit fünf oder sechs Jahren gestorben. Diphtherie -oder war es Scharlach? So genau weiß ich das nicht mehr."
„Danke, Frau Mascheck, und einen schönen Abend."
Sabine schloss die Tür hinter sich und blieb dann, die Arme vor der Brust verschränkt, in der Diele stehen.
„Was treibst du für ein Spiel, Peter von Borgo?", murmelte sie vor sich hin und ging dann zurück in die Küche. Rosa Mascheck hatte recht, diese Küche wurde nicht benutzt, stellte die Kommissarin nach einem Blick in die Schränke fest. Das altmodische Küchenbuffet war fast leer, nur unten standen zwei Kisten mit in vergilbte Zeitung eingewickeltem Geschirr. Sabine bückte sich und strich eines der Blätter glatt.
3. August 1958!
In einer Schublade fand sie angelaufenes Silberbesteck und zwei alte Kochbücher. Der Herd und der nicht einmal angeschlossene Kühlschrank mussten aus den Nachkriegsjahren stammen. Sabine warf noch einen Blick in die Speisekammer. Bis auf ein paar Kisten mit eingepackten Küchenutensilien war auch sie leer.
Merkwürdig. Selbst wenn ein Mann sich beim Kochen noch so ungeschickt anstellte, hätte er doch wenigstens eine Kaffeemaschine oder einen Wasserkocher oder zumindest Teller und Besteck, um sich mal ein Brot zu schmieren. Doch hier gab es keinerlei Lebensmittel, keine Kekse, keinen Tee oder Kaffee, keine Butter, kein Brot, nicht mal eine Tütensuppe.
Langsam schritt Sabine im Erdgeschoss durch die Räume: ein düsteres kleines Wohnzimmer mit offenem Kamin und zwei schweren Sesseln davor, unter dem Fenster ein Sofa, ebenso mit weinrotem Samt bezogen wie die Sessel, und ein Tisch mit einer Schieferplatte. Die Stoffbespannung an den Wänden war zu einem unscheinbaren Braun nachgedunkelt. Ein mehrarmiger Kerzenleuchter und ein paar zierliche Porzellanfiguren standen auf einem Sideboard aus Wurzelholz. Sabine strich mit der Hand über das glatte Holz. Das war sicher alt. Biedermeier vielleicht. So genau kannte sie sich nicht aus. In einer kleinen Glasvitrine standen die Weingläser, aus denen sie schon getrunken hatte.
Wie hell und einladend wirkte dagegen das Zimmer mit dem Flügel! Langsam ging die Kommissarin an den Wänden entlang und ließ noch einmal den Blick über die reichhaltige Sammlung gleiten, dann stieg sie die Treppe zum ersten Stock hoch. Ihre Schritte hallten auf den Marmorstufen wider. Inzwischen war es draußen dunkel geworden, doch auf der Suche nach den Lichtschaltern musste die Kommissarin feststellen, dass die meisten Lampen nicht einmal eine Birne in der Fassung hatten. Nur die Diele, die Galerie und das prächtige Schlafzimmer, in dem sie sich umgezogen hatte, ließen sich festlich erleuchten.
„Merkwürdig, alles sehr merkwürdig", murmelte sie und stieg hinunter, um die Taschenlampe, die in ihrem Überlebensrucksack steckte, zu holen.
Oben waren zwei Schlafzimmer, jeweils mit einer Ankleide und einem altmodisch eingerichteten Bad, und dann noch ein schmaler Raum mit einem Schreibtisch unter dem Fenster und einem antiken Schrank, in dem, fein säuberlich gestapelt, Bettwäsche aufbewahrt wurde.
Während das Schlafzimmer, das sie schon kannte, in Gelb und Orangetönen eingerichtet war, wurde das andere von einem mächtigen Himmelbett mit dunklen, gedrehten Bettpfosten eingenommen. Der Überwurf war aus dunkelblauem Samt und hatte sicher schon das vorherige Jahrhundert gesehen. Neben dem Bett stand eine reich mit Schnitzereien verzierte Truhe, an der anderen Wand ein Schminktisch aus Mahagoni mit einem großen, ovalen Spiegel, den ein schwarzes Tuch verhüllte. Die Kommissarin hob das Tuch ein Stück an und sah, dass der Spiegel gesprungen war. Von einem Punkt in der Mitte liefen unzählige Risse zum Rand hin.
Der Deckel der Truhe ließ sich erstaunlich leicht öffnen. Das Scharnier gab kein Geräusch von sich. Die Truhe war gefüllt mit Kleidern, oder besser gesagt: mit Kostümen. Es war wie eine Reise in die Vergangenheit:
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