Der Duft des Meeres
sie einen fleckigen Schlüpfer auf die Leine hängte, die zwischen ihrem Haus und dem nächsten gespannt war.
»Nein, wir suchen nach jemandem. Vielleicht kennen Sie ihn?«, erwiderte Camille.
Die Frau lächelte. In ihrem Oberkiefer fehlte ein Zahn. »Ich kenne ’ne Menge Leute. Wen suchen Sie denn?«
Sie drehte das Rad, und kleine Wassertropfen spritzten ihnen auf die Stirn, als ein Paar nasser Strümpfe hin und her baumelte.
»Ira Beam«, antwortete Oscar. Die Frau hielt das Rad an und die Wäsche kam flatternd zum Stillstand. Ihr Lächeln erstarb.
»Was wollen Sie von ihm?«
»Sie kennen ihn also?«, fragte Oscar. Der Kopf der Frau verschwand für einen Moment aus ihrem Fenster, dann tauchte er wieder auf. Sie hievte einen Eimer auf das Fenstersims und kippte ihn aus. Camille und Oscar sprangen aus dem Weg, als ein Strom braunen Wassers ihnen vor die Füße spritzte.
»Keine Ahnung, was Sie mit diesem Dieb zu tun haben, aber kein Freund von ihm ist hier willkommen«, rief sie stirnrunzelnd und schlug die Fensterläden knallend zu.
»Ich denke, das ist unser Stichwort zu gehen«, meinte Oscar, dann ergriff er Camilles Ellbogen, um sie wegzuführen. Stur blieb sie stehen.
»Aber was ist mit dem Ring? Wir brauchen das Geld.«
Die Tatsache, dass sie keinen einzigen Cent besaß, den sie ausgeben konnte, gab ihr ein Gefühl von Hilflosigkeit. Früher war die Möglichkeit, einfach so ein Paar Schuhe oder Handschuhe zu kaufen, die ihr gefielen, so natürlich gewesen wie das Ergreifen des Arms eines Begleiters, wenn sie einmal stolperte. Jetzt waren sie jedem ausgeliefert, der bereit war, ihnen auf die eine oder andere Weise zu helfen. Hässliche Kleider, widerwärtiger Rübenbrei, mit Prostituierten geteilte Wohnräume und sogar Ratschläge darüber, bei wem sie ihren Verlobungsring verpfänden sollte. Was war nur aus ihrem Leben geworden?
»Wir werden das Geld auf eine andere Weise auftreiben«, sagte Oscar. »Dieser Bursche, Beam, klingt nicht nach jemandem, mit dem wir uns einlassen sollten.«
Camille schüttelte Perlen braunen Wassers aus ihrem frisch gewaschenen Kleid.
»Bevor mein Vater dich angeheuert hat, wie hast du da dein Geld verdient?«, fragte Camille, als sie die Ecke erreichten. Oscar verlangsamte seinen Schritt und sah sie mit schmalen Augen an.
»Warum?«, fragte er mit unverhohlenem Argwohn.
»Ich will wissen, was du tun wirst, um Geld für uns zu verdienen«, antwortete sie langsam, besorgt, dass sie einen wunden Punkt berührt hatte. »Du hast am Hafen gearbeitet, nicht wahr? Was hast du getan, Schiffe beladen?«
Oscar hatte ihnen nur spärliche Informationen über die ersten fünfzehn Jahre seines Lebens gegeben: Geboren in Boston als Sohn irischer Emigranten ging er fort, nachdem seine Eltern am Fieber gestorben waren. Camille hatte sich immer gefragt, ob er mit großen Träumen von Wohlstand gen Westen gezogen war, wegen des Goldes, das man gerade in den Hügeln rund um San Francisco gefunden hatte. Es hatte jedoch nie so recht zu Oscars vernünftigem Wesen gepasst.
»Ich habe dies und das gemacht«, antwortete Oscar. Nicht direkt erhellend , dachte sie, während sie versuchte, sich seinen langen Schritten anzupassen.
»Vielleicht sollten wir einen Juwelier suchen. Der würde es vielleicht in Betracht ziehen, meinen Ring zu kaufen«, sagte sie.
Ein Pfiff drang aus dem ersten Stock eines Gebäudes zu ihnen. Camille erwartete halb, die Frau und ihren Wascheimer wiederzusehen. Diesmal war es ein Mann, der sich aus einem Fenster beugte, seinen Hut in den Händen, der die Ziegelwand streifte.
»Ich komme gerade von der Post und höre, dass Sie nach dem besten Händler in ganz Victoria suchen«, erklärte er. Camille stöhnte. Sie hatte jede einzelne Silbe in diesem Satz gründlich satt.
»Das stimmt«, antwortete Oscar. Er schob Camille sanft vorwärts und ging weiter.
»He, mein Freund, lösch das Feuer an deinen Fersen«, rief der Mann. »Ich kann euch mit Ira Beam bekannt machen, solange ihr keinen Ärger sucht.«
Camille schloss die Augen. Sie war müde, ihr war heiß, und sie hatte Hunger. Sie flüsterte Oscar zu: »Ich denke, wir haben ihn bereits gefunden.«
»Bleibt, wo ihr seid«, wies der Mann sie an und verschwand aus dem Fenster. Oscar bedeutete Camille, ihm zu folgen, und setzte sich wieder in Bewegung.
»Wohin gehst du?« Sie hielt ihn am Arm fest, sodass er stehen bleiben musste. »Lass es uns einfach hinter uns bringen.«
Oscar wollte etwas erwidern, schloss
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