Der Duft von Orangen (German Edition)
wollte ich Johnny hier gar nicht finden. Irgendwo erzählte meine Mutter mir etwas über Reinigungstücher. Ich kann nicht tun, was ich sonst hier immer getan habe, nicht, wenn ich weiß, dass sie auf eine Antwort von mir wartet. Sich vielleicht sogar ein wenig sorgt, mich an der Schulter schüttelt. Ich kann Johnny nicht vor den Augen meiner Mutter ficken, selbst wenn sie nicht wirklich da ist und ich nicht wirklich hier bin.
„Willst du wissen, was Johnny über dich sagt, Emmaline?“
Ich schaue Ed an. Mir fällt erst jetzt auf, dass er einen Stift und ein ledergebundenes Notizbuch vor sich liegen hat. Das war eben noch nicht da. All diese Einzelheiten, die winzigen Details, vernebeln mir das Gehirn.
„Was sagt er?“
„Er sagt, dass du nicht echt bist. Du bist kein Mädchen, du bist eine Fantasie. Vielleicht stellen wir alle uns dich nur vor, sagte ich, aber er sagt, so ist das nicht. Du kommst einfach nur von einem anderen Ort. Stimmt das, Emmaline? Kommst du von einem anderen Ort?“
„Ja, Ed, das tue ich“, antworte ich müde. „Und ich würde gerne dorthin zurückkehren.“
Sein Lachen endet in einem Niesen. Er zieht noch mal tief an seiner Zigarette. „Viel Glück dabei. Wollen wir nicht alle an einen anderen Ort?“
Die Arbeitsplatte drückt sich in meinen Rücken, als ich mich dagegenlehne. Von draußen höre ich wieder Gelächter. Muss eine ganz schöne Party sein. Es klingt nach viel Spaß. Nach mehr Spaß als diese bizarre und verdrehte Unterhaltung mit einem Mann, der sich irgendwann die Pulsadern aufschneiden wird.
„Er sagt, du bist aus der Zukunft.“
„Was?“ Ich richte mich verblüfft auf. „Das hat Johnny gesagt?“
„Er sagt, das hättest du ihm erzählt.“
Ich blinzle und tigere dann auf dem Linoleum-Fußboden auf und ab. „Das ist verrückt.“
„Ja. Das sagt Johnny auch. Er meint, er muss verrückt sein. Wir alle müssen verrückt sein. Wir sollten alle ins verfickte Irrenhaus eingeliefert werden, oder? Alle. Johnny sagt, du hättest ihm erzählt, dass du dir uns alle nur ausgedacht hast. Also lass mich dir eine Frage stellen, Emmaline. Wenn du mich nur ausgedacht hast, wieso hast du dann so ein Wrack aus mir gemacht?“
„Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll.“ Ist es eine Lüge, wenn ich sage, dass er recht hat? Was passiert, wenn deine eigenen Halluzinationen erfahren, was sie sind?
„Sag mir nur, ob es stimmt. Mehr will ich gar nicht wissen.“ Ed trinkt einen großen Schluck aus der Flasche und spielt einen Moment mit der Spritze, benutzt sie aber Gott sei Dank nicht. „Ich will nur wissen, ob ich real bin. Oder nicht real.“
„Du bist … real“, sage ich zögernd. „Ich meine, du bist ein echter Mensch, Ed. Aber das hier ist nicht real. Das hier geschieht nur in meinem Kopf. Diese Unterhaltung ist nicht echt.“
„Heute ist die Nacht“, sagt Ed plötzlich und nickt in Richtung Kalender.
„Welche Nacht?“
„In der ich real werde, schätze ich.“ Er nickt, als würde dasSinn ergeben. Was es zumindest für mich nicht tut. Er trinkt erneut, leert die Flasche mit einem letzten gurgelnden Zug. „Also, wem kann ich die Schuld für all den Scheiß hier geben?“
„Ich weiß nicht. Mir?“ Ich spreize die Finger. „Du könntest mir die Schuld geben.“
Er schaut mich aus glasigen Augen an und verzieht seinen Mund zu einem schiefen Grinsen. „Ich schätze, das könnte ich. Aber ich glaube, ich werde es nicht tun. Weißt du, dass ich ein Gedicht über dich geschrieben habe?“
Ich erschauere. „Nein, das wusste ich nicht.“
„Hab ich aber.“ Er zieht sein Notizbuch zu sich heran, räuspert sich und liest laut vor.
Sie geht durch die Nacht,
eine Schönheit .
Einzelne, winzige Schritte auf bloßen Sohlen, zurückgelassene Schuhe .
Puppenspielerin, Mädchen, das zur Frau wurde, sie kommt und geht .
Sie erschafft und sie zerstört uns. Sie spinnt ihre Träume,
Sie ist das, was sie wird. Sie kann alles sein, was sie sein will. Emmaline .
Ich weiß über Poesie nicht mehr als über Kunst, aber das Gedicht klingt in meinen Ohren nicht sonderlich gut. Zu überheblich und aufgeblasen, die Art Gedicht, die Goth-Kids einander laut vorlesen, während sie ihren Eyeliner auftragen und über die verschiedenen Bedeutungsebenen diskutieren. Menschen werden es in Blogs zitieren, ohne genau zu wissen, was es wirklich bedeutet.
„Das bedeutet gar nichts“, sage ich säuerlich.
„Nein?“ Ed klingt überrascht und fährt noch
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