Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate
den Kopf. » Was ist mit dem Stempel? Sicher verrät doch der Stempel, woher der Brief kommt? Oder wahrscheinlich hat er Manon seine Adresse geschrieben, wo sie ihn erreichen kann, nicht wahr, Aszulay?«, sagte ich und blickte ihm ins Gesicht. » Wenn ich seine Adresse hätte, könnte ich zu ihm reisen und müsste nicht hier auf ihn warten.«
Aszulay sah mich schweigend an.
» Hat er denn geschrieben, wo er sich zurzeit befindet?«, fragte ich. » Wo wurde der Brief abgestempelt?«
» Sie hat mir den Brief nicht gezeigt, Sidonie«, sagte er. » Sie sagte nur, dass er noch nicht kommt, sondern erst in ein paar Wochen oder einem Monat.«
» Dann gehe ich zu ihr und frage sie. Oder, nein, vielleicht könnten Sie sie fragen, Ihnen wird sie es vielleicht sagen, mir aber bestimmt nicht.«
Er schüttelte den Kopf. » Sie ist zurzeit nicht hier.« Mit einem Mal war mir viel zu heiß, die Sonne über mir eine weiße Scheibe, die mir ins Gesicht brannte.
» Sie ist nicht da?«, wiederholte ich. » Was heißt das?«
» Sie ist weggefahren. Für eine Woche oder auch zwei, zusammen mit …« , er unterbrach sich , » … mit einem Freund.«
Mir war sofort klar, dass Manon mit dem Franzosen weggefahren war. Olivier. Bestimmt wusste Aszulay das ebenfalls.
» Hat sie Badou mitgenommen?« Ich konnte ihn nicht ansehen und starrte stattdessen auf eine Fliese in der Mauer hinter ihm.
» Nein, sie hat ihn bei Falida gelassen.«
» Aber Falida ist doch selbst noch ein Kind«, sagte ich.
» Sie ist elf. In zwei, drei Jahren ist sie in einem heiratsfähigen Alter«, sagte er. » Ich schaue alle paar Tage in der Sharia Zitoun vorbei, um ihnen Essen zu bringen und nachzusehen, ob alles in Ordnung ist.«
Ich nickte und zog den haik vor dem Gesicht zusammen, um mich vor der Sonne zu schützen. Nicht nur, dass Manon mit einem anderen Mann weggefahren war, sie verlangte auch noch von Aszulay, dass er sich um ihr Kind kümmerte. Hatte sie eigentlich überhaupt kein Gewissen, kein Schamgefühl? Und Aszulay – warum ließ er sich von ihr an der Nase herumführen?
Ich sah ihn an. Ich wusste, dass er ein Mann mit Würde und von Anstand war. Wie konnte er sich von Manon derart ausnutzen lassen? Wie konnte er zu ihr stehen, wo sie ihm so wenig Respekt entgegenbrachte? Er verdiente es nicht, so behandelt zu werden.
» Also werden Sie bleiben und warten?«, fragte Aszulay mit einem merkwürdigen Ton in der Stimme. » Sie bleiben in Marrakesch und warten auf Etienne, egal wie lange es dauert, bis er wiederkommt?«
Ich befeuchtete mir die Lippen. » Ich … ja.«
» Sidonie, ich denke, es ist besser, wenn Sie nicht mehr warten. Vielleicht sollten Sie jetzt wirklich nach Hause zurückkehren.«
» Nach Hause?« Er hatte noch immer nicht verstanden. Aber wie sollte er auch? Woher sollte er wissen, dass es in Albany nichts mehr gab, wofür es sich lohnte heimzukehren. Mit einem Mal wurde ich wütend auf Aszulay, weil er sich erlaubte, mir Ratschläge zu geben. Ich war wütend auf Manon, weil sie mein Bemühen, Etienne zu finden, vereitelte. Aber am wütendsten war ich auf Etienne.
Mir war heiß, und ich hatte Hunger, da ich an diesem Tag noch nichts gegessen hatte. » Nein, ich werde warten, so wie Sie auch«, sagte ich. Ich sah ihm in die Augen.
Er schüttelte kaum merklich den Kopf. » Ich? Worauf denn?«
» Auf sie. Manon.« Es gelang mir nicht, meine Verachtung für diese Frau zu verbergen. » Sie warten auf sie, tun, was sie von Ihnen verlangt, während sie mit einem anderen Mann weggefahren ist.«
Er wirkte überrascht. » Ich tue es für das Kind«, sagte er, doch seine Antwort genügte mir nicht.
» Ich weiß, dass Sie mich für eine Närrin halten, weil ich auf Etienne warte. Sagen Sie es mir ruhig ins Gesicht, dass ich eine Idiotin bin. Und dann sage ich Ihnen, dass ich Sie für einen Narren halte, weil Sie auf Manon warten. Sie benutzt Sie doch nur, damit Sie auf ihren Sohn aufpassen. Wie können Sie ihr erlauben, so mit Ihnen umzuspringen?« Es war nicht meine Absicht gewesen, in diesem Ton mit Aszulay zu reden; er war immer nur freundlich zu mir gewesen. Was war mit einem Mal mit mir los? Was ging mich das an, wie Manon ihn behandelte? Warum ärgerte es mich, dass er Manon liebte?
Seine Nasenflügel bebten. » Vielleicht aus dem gleichen Grund, aus dem Sie Etienne erlauben, Sie mit Füßen zu treten.«
Wir starrten einander an. Seine Worte hatten mich getroffen. Sie mit Füßen zu treten. Plötzlich konnte ich ihm nicht
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