Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate
und von einer Straße auf eine Karawanenpiste abbogen, fragte ich Aszulay, wie lange die Fahrt dauern würde.
» Fünf Stunden, wenn alles glattgeht.« Seine Stimme klang gedämpft durch den Turban. » Wir fahren in südwestlicher Richtung in das Ourika-Tal. Von Marrakesch aus sind es zwar nicht einmal siebzig Kilometer, aber die Pisten sind nur schwer befahrbar.« Ich sah ihn von der Seite an und genoss den Anblick: ein Blauer Mann, ein Sohn der Sahara, der einen holpernden Lastwagen fuhr, statt ein Kamel zu führen. » Meine Familie wohnt in dem Tal in einem kleinen Dorf.«
Die vorherrschenden Farben an diesem Nachmittag waren Blau, Rot und Weiß: Der Himmel spannte sich klar und riesig über uns, die Erde um uns herum zeigte sich in ihrem typischen rötlichen Braun, und im Hintergrund die schneebedeckten Gipfel des Atlasgebirges. Aszulay entblößte das Gesicht und sang mit leiser, volltönender Stimme ein arabisches Lied, und Badou klatschte rhythmisch dazu und stimmte ein.
Was würde Etienne von mir denken, wenn er mich jetzt sehen könnte?, fragte ich mich. Ich war nicht mehr die Frau, die er in Albany gekannt hatte.
Aber ebenso wenig war er noch der Mann, den ich gekannt zu haben geglaubt hatte.
Ich hatte keine Lust, an Etienne zu denken, und riss mich aus meinen Gedanken, um in Badous Klatschen einzustimmen. Während ich vom Lastwagen auf der schmalen Sandpiste hin und her gerüttelt wurde, kam mir in den Sinn, dass ich mir keineswegs klein vorkam inmitten dieser weiten Landschaft, so wie ich es zunächst erwartet hatte. Im Gegenteil, die Erhabenheit des Himmels und der Berge vermittelten mir nahezu das gegenteilige Gefühl.
Wie Aszulay gesagt hatte, waren die Pisten äußerst tückisch und noch schwieriger zu befahren als die Routen, auf denen ich mit Mustapha und Aziz gereist war. In den hügeligen Ausläufern des Atlasgebirges hatten wir es mit Haarnadelkurven und Geröllfeldern zu tun. Manchmal mussten wir uns einen Weg zwischen Eseln, Pferden oder Kamelen hindurchbahnen. Immer wieder wurden wir von unseren Sitzen emporgehoben oder schwankten zur Seite, sodass Badou ständig zwischen uns hin und her schaukelte. Wenn der Lastwagen mal wieder in eine besonders tiefe Bodenwelle geriet und er auf und ab hüpfte, lachte er ausgelassen.
Nach ungefähr drei Stunden machten wir Halt bei einer Gruppe von Bäumen mit fedrigen Blättern. Aus einer Felsgruppe sprudelte eine Quelle und bildete einen schmalen Bach. Eine Frau und ein Mann – Berber, wie ich ihren unverhüllten Gesichtern entnahm – kauerten am Rand des Wassers und füllten ihre Ziegenhautschläuche. Zwei Esel mit vollen Lastkörben auf dem Rücken verlagerten ungeduldig ihr Gewicht auf den kurzen, kräftigen Beinen, bis man sie endlich zum Bach führte, um sie zu tränken.
Drei kleine Kinder – ein Mädchen und zwei Jungen, einer davon noch ein Kleinkind – plantschten in dem niedrigen Gewässer, und als ich Badou vom Sitz hob, sah ich, dass er sie neugierig beobachtete. Ich ließ haik und Gesichtsschleier im Wagen.
Mit Badou an der Hand ging ich zu dem Bach, wo ich mich ans Ufer kauerte, die Hände wölbte und Wasser zum Mund schöpfte. Badou tat es mir gleich. Dann wusch ich mir das Gesicht, das staubig von der Fahrt war. Ich bemerkte, wie sich Aszulay entfernte; er erklomm eine sanfte Anhöhe und verschwand dahinter. Badou und ich setzten uns an den Bach, und ich nahm Käse, Walnüsse und Brot aus einer gewebten Tasche. Während wir aßen, sah Badou mit ernstem Ausdruck den Kindern zu.
Plötzlich rannte der ältere Junge, der ungefähr in Badous Alter war, auf uns zu und sagte etwas auf Arabisch zu ihm. Badou schüttelte den Kopf. Der Junge lief zu den Eseln zurück, langte in einen der Körbe und brachte eine Orange zum Vorschein. Er kam damit erneut zu uns, kauerte sich vor Badou ins Gras und begann, die Orange zu schälen. Als er fertig war, teilte er die Frucht in zwei Hälften und reichte eine Badou.
Der sah zuerst die Orange und dann mich an. » Nimm sie, Badou«, sagte ich, und er nahm sie aus der schmutzigen Hand des Berberjungen. » Sag Danke!«, forderte ich ihn auf, und er kam murmelnd meiner Aufforderung nach. Ich gab Badou eine Handvoll geschälte Walnüsse und deutete mit einem Kopfnicken zu dem Jungen. Badou reichte sie ihm, und der Junge stopfte alle auf einmal in den Mund. Als er mit vollem Mund etwas sagte, spuckte er einen Teil der Nüsse wieder aus. Badou schüttelte abermals den Kopf, und der Junge sprang zu seinen
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