Der Duft
dass Sie trotz einiger Vorfälle in den letzten
Tagen Ihre Arbeit hier fortsetzen sollen«, sagte er trocken. »Ich will Sie dabei nicht aufhalten.«
Marie spürte, wie sie errötete. Am liebsten hätte sie die Flucht ergriffen.
Rafael streckte die Hand aus. »Ich bin Rafael Grendel. Freut mich, Sie kennenzulernen, Dr. Scorpa.«
Scorpa ignorierte die Hand. »Ganz meinerseits«, sagte er in einem Tonfall, der seine Worte Lügen strafte.
»Frau Escher erwähnte, Sie würden Fördergelder von der EU beziehen. Könnte ich bitte die entsprechenden Unterlagen einsehen?«
Scorpa zögerte einen Augenblick. »Frau Escher hat Sie falsch informiert. Ich habe lediglich gesagt, dass die EU in Afrika
investiert und wir die Möglichkeit haben, von diesen Fördergeldern zu profitieren. Ich habe nicht behauptet, dass dies bereits
geschieht. Sie können sich auf den verschiedenen Websites des Europarats über die bestehenden Förderprogramme informieren.«
»Verstehe. Vielen Dank!«
»Ich habe jetzt einen Termin. Wenn Sie mich bitte entschuldigen.«
»Selbstverständlich. Einen schönen Tag noch, Dr. Scorpa!«
Scorpa verließ das Gebäude ohne ein weiteres Wort.
»Was ist denn das für ein Stinkstiefel?«, meinte Rafael, als sie im Teamraum waren.
Marie wandte den Blick ab. Eine peinliche Stille entstand, |106| bis Rafael ohne ein Anzeichen von Verwunderung das Schweigen brach. »Wer ist eigentlich dieser Borlandt?«
Marie rollte mit den Augen. »Das ist der Vorstandschef der Oppenheim AG. Unser Auftraggeber. Liest du eigentlich nie Zeitung?
Er will, dass wir rausfinden, was mit Olfana nicht stimmt.«
»Ich dachte, wir sollten das Zukunftspotenzial der Firma abschätzen?«
»Hab ich das nicht gerade gesagt?«
»Nein. Du hast gesagt, wir sollen herausbekommen, was mit Olfana nicht stimmt. Das klingt für mich so, als sollten wir hier
irgendwelche unsauberen Machenschaften aufdecken. Offenbar bist du bereits überzeugt davon, dass Olfana gar keine Zukunft
hat. Hast du mir irgendetwas noch nicht erzählt, das ich wissen sollte?«
Marie zögerte. Rafael hatte Recht: Warum war sie sich eigentlich plötzlich so sicher, dass mit Olfana etwas nicht in Ordnung
war? Bloß weil Scorpa vorhin unterkühlt gewirkt hatte? Sie durfte sich von ihren Gefühlen nicht den Verstand vernebeln lassen.
Nach dem, was passiert war, hatte er allen Grund, sauer zu sein. Sie hatte sich hysterisch benommen und wahrscheinlich seine
männliche Eitelkeit verletzt, und dann war Konstantin durchgedreht. Sie hätte sich bei ihm entschuldigen müssen. Sie nahm
sich vor, das nachzuholen, wenn er von seinem Termin zurück war.
Rafael wartete noch immer auf eine Antwort.
»Stell jetzt bitte die Liste der EU-Förderprogramme zusammen! Mit allen Förderbedingungen. Ich will wissen, ob es tatsächlich
irgendeinen EU-Topf gibt, den man nur dann anzapfen kann, wenn man ein Feldlabor in Afrika unterhält.«
»Und du meinst, das führt uns weiter? Hast du eine Ahnung, wie kompliziert die Richtlinien für EU-Förderprogramme sind?«
|107| »Tu, was ich sage, zum Kuckuck!«
»Ja, ja, schon gut, musst dich ja nicht gleich aufregen!«
Marie erschrak. Sie hatte die Beherrschung verloren! Der Stress der letzten Tage setzte ihr offensichtlich mehr zu, als sie
wahrhaben wollte. Sie durfte sich nicht so gehen lassen. Niemals …
Das kleine Mädchen hört Schreie. Sie kommen aus der Küche. Ihre Eltern streiten schon wieder. Eine Weile versucht sie, nicht
hinzuhören. Sorgfältig kämmt sie das lange, golden glänzende Haar der kleinen Prinzessin in ihrer Hand. Sie muss doch heute
Abend auf dem Ball schön sein, wenn der Prinz sie zum ersten Mal sieht.
Schlimme Worte stören ihr Spiel. Sie lässt die Puppe fallen und presst sich die Hände an die Ohren, aber die Worte sind irgendwie
immer noch da: »Komm nicht näher, oder ich bringe dich um!«
Plötzlich ist es ganz leise. Sie nimmt die Hände von den Ohren. Aus der Küche dringt kein Laut mehr.
Das Mädchen bekommt Angst. Sie läuft zur Küche und bleibt erschrocken in der halb geöffneten Tür stehen.
Ihre Mutter steht neben der Spüle. Sie hat das lange Brotmesser mit der gewellten Klinge in der Hand. Sie hält es mit beiden
Händen. Sie zittert. Tränen laufen über ihre Wangen.
Ihr Vater steht zwei Schritte von ihr entfernt. Er hat die Hände erhoben. »Liebling, bitte beruhige dich«, sagt er leise.
»Ich will dir doch nur helfen!«
Keiner der beiden bemerkt das
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