Der Duft
mit einer Vehemenz in die Arbeit, die ihre ohnehin außerordentliche Einsatzbereitschaft
noch übertraf. Sie arbeitete das Wochenende durch, analysierte Zahlenreihen, rechnete Tabellen nach, verglich Kostenpositionen,
stellte Plausibilitätskontrollen an. Sie wusste, dass sie damit das Geschehene nicht wettmachen konnte, aber es war alles,
was ihr noch blieb.
Entgegen ihrem ursprünglichen Vorsatz, sich zu entschuldigen, ging sie Scorpa aus dem Weg, und auch er schien kein Interesse
an einem Kontakt mit dem Team zu haben. Er war viel unterwegs und ließ sich kaum in der Firma blicken. Wenn jemals eine Hoffnung
bestanden hatte, dass es zwischen ihr und ihm zu einem konstruktiven Arbeitsverhältnis kommen würde, so war sie an jenem Abend
durch ihr dummes Verhalten zerstört worden. Aber vielleicht war das auch besser so, denn Maries Analysen zeigten ein immer
klareres Bild: Olfana würde auch in den nächsten Jahren hohe Verluste einfahren. Das Zukunftspotenzial der Firma war gering.
Rafael hatte inzwischen mit verschiedenen Mitarbeitern gesprochen und begonnen, sich für die Forschungsprojekte der Firma
zu begeistern. In diesem Punkt war er Konstantin ähnlich: Er sah zuerst die Chancen der Technologie. Im Unterschied zu Konstantin
fehlte ihm jedoch die analytische Methodik, um auch die Risiken einzuschätzen und sich ein insgesamt objektives Bild zu machen.
Einmal kam er mit leuchtenden Augen von einem Meeting mit einem der Wissenschaftler zurück. »Das ist fantastisch«, |115| sagte er. »Die haben da ein Zeug zusammengemixt, das Heuschrecken so sehr hassen, dass sie lieber verhungern, als sich einem
Futter zu nähern, das danach riecht. Stell dir mal vor, was es bedeutet, wenn man das großflächig einsetzt. Seit zehntausend
Jahren sind Heuschrecken eine der schlimmsten Plagen, die über die Menschen in Afrika hereinbrechen. Kein Gift hat je dagegen
geholfen. Jetzt gibt es bald ein Mittel dagegen! Das Zeug stinkt zwar erbärmlich und ist noch etwas instabil, aber Dr. Bergmann
sagt, sie seien kurz davor, diese Probleme zu lösen.«
Marie unterdrückte ein Augenrollen. »Hast du die Analyse der EU-Förderprogramme fertig?«
»Das ist doch jetzt nicht so wichtig. Ich sage dir, die stehen hier kurz vor einem Durchbruch, der die Nahrungsversorgung
der Menschheit entscheidend verbessern wird!«
»Du redest von Projekt L3, richtig?«
»Ja, genau. Dr. Bergmann meint …«
»Ich habe das Protokoll des letzten Abstimmungsmeetings gelesen«, unterbrach Marie. »Projekt L3 hat einen Riesenhaufen Probleme.
Die Trägersubstanz ist sehr flüchtig, und keiner weiß, wie man das in den Griff bekommen soll. Dass das Zeug hier im Labor
in einem kleinen Glaskasten wirkt, bedeutet noch lange nicht, dass es auch dort funktioniert, wo es gebraucht wird. Nach dem
jetzigen Entwicklungsstand müsste man so ein Getreidefeld unter der Sonne Afrikas zehn Mal am Tag mit dem Duftstoff besprühen,
damit er tatsächlich Heuschrecken davon abhält, die Ernte zu vernichten.«
Rafael winkte ab. »Das sind Details. Die lösen die schon noch. Außerdem beweist das, was du gerade gesagt hast, doch nur,
dass Olfana auf jeden Fall ein Labor in Afrika braucht.«
Marie unterdrückte den aufkommenden Zorn. »Rafael, |116| solche ›Details‹ haben schon wesentlich größere Firmen in den Ruin getrieben. Und solange das Problem der Flüchtigkeit nicht
mal ansatzweise gelöst ist, braucht man auch keinen Großflächentest in Afrika. Ich finde, du solltest deine Technikbegeisterung
ein wenig zügeln und die Sache realistischer betrachten. Vor allem aber kann ich es nicht dulden, wenn du dafür deine Aufgaben
vernachlässigst. Ich erwarte, dass du mir heute Nachmittag, 17.00 Uhr, eine vollständige Liste der EU-Förderprogramme mit
ihren Teilnahmebedingungen vorlegst.«
»Weißt du, was dein Problem ist, Marie? Du hast einfach keine Fantasie!«
»Kann sein. Aber du hast eindeutig zu viel davon!«
Am nächsten Tag hatten sie ein Abstimmungsmeeting mit Borlandt. Marie rechnete damit, dass er nur einen kurzen Zwischenbericht,
noch keine abschließende Bewertung haben wollte. Trotzdem hatte sie einige Powerpointcharts vorbereitet, die ein ziemlich
klares Bild der hoffnungslosen Situation von Olfana zeigten.
Als sie Borlandts Büro betrat, blieb sie so abrupt in der Tür stehen, dass Rafael sie von hinten anrempelte und fast den Laptop
fallen ließ. An dem kleinen Besprechungstisch saß Scorpa.
Weitere Kostenlose Bücher