Der Duft
Seine Miene zeigte keine Regung, als sich ihre Blicke trafen.
Maries Pulsfrequenz stieg rasch. Sie hatte damit gerechnet, Borlandt allein anzutreffen. Wenn sie in Scorpas Beisein ihre
Analysen zeigte, würde es höchstwahrscheinlich zum Eklat kommen. Doch jetzt gab es kein Zurück mehr.
Borlandt kam mit ausgestreckter Hand auf sie zu. »Hallo, Frau Escher. Und Sie müssen Herr Grendel sein. Herzlich willkommen!«
Scorpa machte keine Anstalten, sie zu begrüßen.
Sie setzten sich. »Dr. Scorpa hat darum gebeten, bei dem |117| Meeting heute dabei sein zu dürfen, damit er eventuelle Fragen sofort beantworten kann«, erklärte Borlandt. »Sie haben doch
nichts dagegen, Frau Escher?«
Marie zögerte keinen Augenblick. »Selbstverständlich nicht. Im Gegenteil – ich bin gespannt, was Dr. Scorpa zu unseren Schlussfolgerungen
zu sagen hat.«
Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, ahnte Scorpa schon, wie ihr Urteil aussah. Wahrscheinlich hatte er von dem Termin
heute schon länger gewusst, Borlandt aber erst kurzfristig gebeten, dabei sein zu dürfen, damit dieser keine Chance mehr hatte,
Marie vorzuwarnen.
Sie startete die Powerpointpräsentation und platzierte ihren Laptop für Borlandt und Scorpa gut sichtbar auf dem Tisch. »Unsere
Aufgabe ist es, das Zukunftspotenzial von Olfana zu bewerten«, begann sie. »Unser erster Eindruck ist leider, dass dieses
Potenzial nicht sehr groß ist.«
Scorpas Gesicht wurde steinern. Auch Rafael versteifte sich.
Borlandt blickte nachdenklich. »Fahren Sie fort.«
Marie rief das erste Schaubild auf. »Wie Sie sehen, hat sich der Gesamtmarkt für biologische Schädlingsbekämpfung zuletzt
verhalten positiv entwickelt, während der Olfana-Umsatz gesunken ist. Das bedeutet, die Firma hat Marktanteile an die Konkurrenz
verloren.«
Scorpa machte eine wegwerfende Handbewegung. »Das ist doch nichts Neues! Außerdem ist es eine rückwärtsgewandte Betrachtungsweise.
Die Vergangenheit sagt uns nichts über die zukünftige Entwicklung des Umsatzes!«
»Da haben Sie natürlich recht«, fuhr Marie fort. »Ich wollte auch lediglich darstellen, dass in der jetzigen Situation eine
Veränderung dringend notwendig ist. Wir haben uns auch mit dem Zukunftspotenzial der in Entwicklung befindlichen Produkte
beschäftigt. Zwar gibt es einige vielversprechende Entwicklungslinien, aber die jeweiligen Produkte |118| sind nach unserer Einschätzung noch weit von der Marktreife entfernt. Das einzige eingeführte Produkt ist Lobelisol, doch
leider befindet es sich in einem umkämpften Markt mit sinkenden Margen. Insgesamt halten wir daher das Produktportfolio von
Olfana für sehr schwach.«
»Das ist Unsinn!«, rief Scorpa. »Lobelisol leidet nur unter einer vorübergehenden Vertriebsschwäche aufgrund der Dumpingpreise
unserer Wettbewerber. Das kriegen wir in den Griff. Es dauert vielleicht noch etwas, bis unsere neuen Produkte marktreif sind.
Aber Sie vergessen dabei, dass wir mit unserer Entwicklung dem Markt in vielerlei Hinsicht weit voraus sind!«
»Das kann ich bestätigen!«, warf Rafael ein. »Nach meinem Eindruck ist Olfana tatsächlich führend in der Entwicklung geruchsbasierter
Schädlingsbekämpfung.«
Marie warf ihm einen eisigen Blick zu. »Mag sein, dass Sie in der Grundlagenforschung führend sind. Doch das Kernproblem von
Olfana ist, dass kein Geld da ist, um die vorhandenen Forschungsprojekte bis zur Marktreife zu entwickeln und erfolgreich
in den Handel zu bringen. Lobelisol wird in den nächsten Jahren immer weniger Ertrag bringen. Es wird nach unserer Einschätzung
noch mindestens fünf Jahre dauern, bis eines der neuen Produkte genug Umsatz macht. Das bedeutet, die Firma wird noch auf
lange Sicht hohe Verluste machen. Nach einer ersten Überschlagsrechnung müssten Sie noch mindestens zehn Millionen Euro in
die Firma investieren.«
Borlandt nickte ernst. Rafael blickte betreten auf den Tisch. Wenigstens quatschte er nicht wieder dazwischen.
Scorpa warf Marie einen langen Blick zu. »Das ist eine scharfsinnige Analyse«, sagte er ruhig. »Aber sie greift zu kurz. Es
ist richtig, dass wir noch weiteres Kapital brauchen, um unsere Produkte erfolgreich am Markt zu positionieren. Es ist ebenfalls
richtig, dass wir in den nächsten |119| Jahren weiter Verluste schreiben werden.« Seine Stimme wurde schneidend. »Es ist jedoch nicht richtig, dass die Firma keine
Zukunft hat! Die Produkte, die wir entwickeln, haben
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