Der Dunkle Turm 3 - Tot
nicht, woher ich das weiß; ich weiß es eben.«
»Das ist dein Geheimnis.« Es war keine Frage.
»Ja. Wenn ich nur wüßte, was es bedeutet.«
Roland sah sich um. Eddie folgte seinem Blick und sah Susannah. Die Tatsache, daß Roland sie zuerst gehört hatte, spendete ihm eine gewisse Erleichterung.
»Was macht ihr Jungs noch so spät auf? Auf’n Busch klopfen?« Sie sah den Holzschlüssel in Eddies Hand und nickte. »Ich habe mich schon gefragt, wann du das herumzeigen würdest. Weißt du, es ist gut. Ich weiß nicht, wozu es taugt, aber es ist verdammt gut.«
»Du hast keine Ahnung, welche Tür es öffnen könnte?« wandte sich Roland an Eddie. »Das war nicht Teil deines Khef?«
»Nein – aber es könnte für etwas taugen, auch wenn es noch nicht fertig ist.« Er hielt Roland den Schlüssel hin. »Ich möchte, daß du es für mich aufbewahrst.«
Roland nahm es nicht. Er sah Eddie eindringlich an. »Warum?«
»Weil… nun… weil ich glaube, daß mir jemand gesagt hat, du solltest es.«
»Wer?«
Dein Junge, dachte Eddie plötzlich, und kaum war ihm der Gedanke gekommen, da wußte er, daß er stimmte. Es war dein gottverdammter Junge.
Aber das wollte er nicht sagen. Er wollte den Namen des Jungen nicht einmal aussprechen. Das konnte ausreichen, Roland wieder ausrasten zu lassen.
»Ich weiß nicht. Aber ich finde, du solltest es versuchen.«
Roland griff langsam nach dem Schlüssel. Als seine Finger ihn berührten, schien ein heller Glanz den Schaft entlangzuflimmern, aber er war so schnell wieder erloschen, daß Eddie nicht sicher war, ob er ihn überhaupt gesehen hatte. Vielleicht war es nur das Sternenlicht gewesen.
Rolands Hand schloß sich um den Schlüssel, der aus dem Ast wuchs. Einen Augenblick lang zeigte sein Gesicht keine Reaktion. Dann runzelte er die Stirn und legte den Kopf zu einer lauschenden Haltung schräg.
»Was ist denn?« fragte Susannah. »Hörst du…«
»Pssst!« Der Verwirrung in Rolands Gesicht folgte langsam Staunen. Er sah von Eddie zu Susannah und dann wieder zu Eddie. Seine Augen füllten sich mit einem tiefempfundenen Gefühl, so wie sich ein Krug mit Wasser füllt, wenn man ihn in einen Brunnen hält.
»Roland?« fragte Eddie unbehaglich. »Alles in Ordnung?«
Roland flüsterte etwas. Eddie konnte nicht verstehen, was es war.
Susannah blickte ängstlich drein. Sie sah Eddie panisch an, als wollte sie fragen: Was hast du mit ihm gemacht?
Eddie nahm eine Hand von ihr zwischen seine beiden. »Ich glaube, es ist alles in Ordnung.«
Roland klammerte die Hand so fest um das Stück Holz, daß Eddie kurz befürchtete, er könnte es entzweibrechen, aber das Holz war kräftig. Der Hals des Revolvermanns schwoll an; sein Adamsapfel hüpfte, als er zu sprechen versuchte. Und plötzlich rief er mit heller, lauter Stimme zum Himmel:
»FORT! DIE STIMMEN SIND FORT!«
Er sah sie an, und da sah Eddie etwas, mit dem er in seinem ganzen Leben nicht gerechnet hätte – nicht einmal, wenn dieses Leben tausend Jahre währen würde.
Roland von Gilead weinte.
2
Der Revolvermann schlief zum erstenmal seit Monaten tief und traumlos, und er hatte den noch nicht ganz fertiggestellten Schlüssel fest in einer Hand, während er schlief.
3
In einer anderen Welt, aber unter dem Schatten desselben Ka-tet, hatte Jake Chambers den lebhaftesten Traum seines Lebens.
Er ging durch das verfilzte Dickicht eines uralten Waldes – einer toten Zone voll von umgestürzten Bäumen und struppigen, dornigen Büschen, die in seine Knöchel stachen und versuchten, ihm die Turnschuhe zu stehlen. Er kam zu einem schmalen Gürtel jüngerer Bäume (Erlen, dachte er, möglicherweise Buchen – er war ein Junge aus der Stadt und wußte von Bäumen nur eines mit Sicherheit, daß manche Blätter und manche Nadeln hatten) und entdeckte einen Pfad hindurch. Diesem folgte er ein wenig schneller. Vor ihm lag eine Art Lichtung.
Er blieb einmal stehen, bevor er sie erreicht hatte, als er eine Art Markierung rechts von sich sah. Er verließ den Pfad und sah sie sich an. Es waren Buchstaben darin eingeschnitzt, doch waren diese so verwittert, daß er sie nicht erkennen konnte. Schließlich machte er die Augen zu (das hatte er noch nie in einem Traum gemacht) und strich jeden einzelnen Buchstaben mit den Fingern nach wie ein blinder Junge, der Braille liest. Jeder einzelne erstand in der Dunkelheit hinter seinen Lidern, bis sie einen Satz bildeten, der wie ein Umriß blauen Leuchtens
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