Der einzige Mann auf dem Kontinent - Roman
sich auch daran erinnern, wer ich bin.
Der, um mich (!) dafür zu belohnen, am nächsten Tag einen Rundflug über die San Francisco Bay spendierte. Weil ich der Dickste war, durfte ich vorne beim Piloten sitzen, und als aus den berühmten Nebelschwaden die berühmte Golden Gate Bridge auftauchte, sagte der Pilot, ich solle den Steuerknüppel auf meiner Seite nehmen und die Maschine einfach gerade halten. Später am Abend gab es Surf’n turf und die wahre Geschichte der Firma zur Einführung. Denn, wir wollen uns nichts vormachen: die Firma ist ebenso der hohe Mythos der Corporate History wie der niedrige des Gossips. Aris Stavridis nahm gerne die Rolle der achtarmig Informationen verteilenden Hausgottheit auf sich. Profan werden sie mich dir als die größte Klatschbase unseres kleinen Unternehmens beschreiben, dabei ist es in Wahrheit Ken, sagte er und zeigte auf den dritten Mann, den sie dabei hatten, einen Chinesen namens Ken Lin (später immer nur in einem Wort KenLin genannt). KenLin lachte schluchzend.
Es waren einmal zwei Freunde, begann Aris Stavridis, Sam Morber, genannt The Morb, und Daniel King, ehemals Kim, genannt The King. Sie kannten sich aus Highschool-Tagen, trafen sich später am College wieder. Der Legende nach in einem Computerclub, in Wahrheit war es ein Saufclub. Wir sprechen von Mitte der 80er Jahre, von einem stinknormalen Studentenkeller, in dem alle nur mit Bieren herumstanden. Weil es mit Bier zu lange dauert, bis man betrunken wird, gingen sie zu Sam nach Hause und machten mit Tequila weiter. Sam, der der Nerd in dieser Story ist, und den Access Point entwickelt hat, auf dessen Grundlage Fidelis Inc. gegründet worden ist, soff gegen seine Melancholie an, Dan, der den charismatischen Geschäftspartner gibt, gegen seine Schüchternheit und seine
Sprachschwierigkeiten. Wenn Dan King zu nüchtern ist, nuschelt er so stark, dass man einen beträchtlichen Teil davon, was er sagt, nicht versteht. Mach dir also nichts daraus, falls morgen nur jedes 10. Wort bei dir ankommt. Meistens reicht das auch aus. Im Wesentlichen geht es bei solchen Sales Meetings doch darum, dass man sich mal sieht : Das sind also die Nasen, mit denen ich an einem Strang ziehe. Die unerfüllbaren Vorgaben, für die man dir im Austausch astronomische Boni verspricht, damit du den Rest des Quartals zwischen Panik und gieriger Hoffnung schwanken kannst, bekommst du später sowieso in Memo-Form. Wenn Dan etwas getrunken hat, spricht er übrigens brillant. Very charming und überzeugend. In solchen Momenten ist er beinahe liebbar . Nach Stavridis’ Beobachtung und Schätzung lag der zu bevorzugende Korridor zwischen mindestens 2 und maximal 5 Tequilas.
KenLin lachte schluchzend.
Natürlich, sagte Stavridis und schloss, weil er nicht zwinkern kann, kurz beide Augen, mache ich nur Scherze.
Willst du die ganze Wahrheit wissen, fragte Stavridis später, als sie allein waren. Nichts Schockierendes, aber es ist besser, du siehst klar. Die letzte eigene Idee hatten wir vor 10 Jahren. Genauer gesagt, hatte sie jemand aus Sams Entwicklungsteam, dessen Namen inzwischen in Vergessenheit geraten ist, der selbst irgendwo verschwunden ist, unwichtig. Das Entscheidende ist, wir haben aufs falsche Pferd gesetzt, dachten, HomeRF würde das nächste große Ding sein, aber es wurde nicht das nächste große Ding. So etwas kommt vor, immer wieder, selbst bei den Besten. Ob das der letzte Tropfen war für Sam oder ob er ohnehin irgendwann den Kampf gegen Melancholie und Trunkenheit (Melancholie, die in Trunkenheit endet, die in Melancholie endet, die in Trunkenheit endet …) verloren hätte, kann ich dir nicht sagen. Fakt ist, er erschien bei einem
Essen des Vorstands in so einem desolaten Zustand, dass er King als »yellow trash« beschimpfte und ihm den chinesischen Feuertopf in den Schoß kippte (zum Glück nicht getroffen, nur einpaar Spritzer), bevor er sich ins Privatleben zurückzog. Seitdem weiß man nichts mehr von ihm, nicht einmal eine Internetrecherche bringt neue Ergebnisse. Was bedeuten kann, dass es ihm gut geht, oder, nicht wahr, das Gegenteil. Für die Firma war sein Weggang eher gut, weil es King klarmachte, dass er die Strategie ändern musste. Die geänderte Strategie ist so alt und bekannt, wie sie einfach und genial ist, vorausgesetzt, man hat das nötige Kleingeld: Fällt dir nichts mehr ein, kauf dir welche, denen etwas eingefallen ist, oder, nicht so schön, aber manchmal eben auch unvermeidlich: kauf sie einfach
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