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Der einzige Sieg

Der einzige Sieg

Titel: Der einzige Sieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Tagesordnungspunkt trafen, dem Besuch im Air & Space Museum, versuchte Carl sich möglichst unauffällig zu verhalten. Die Frau des Ministerpräsidenten und sein Sohn Nils hatten sich mit dem Hinweis vor dem Museumsbesuch gedrückt, der sei eher etwas für »Kerle«. Und da Carl zumindest in diesem Zusammenhang natürlicherweise mehr als Kerl galt als die Nationalökonomen, landete er unvermeidlich neben dem Ministerpräsidenten, als sie von Secret-Service-Leuten umgeben durch die großen Säle schritten. Schon in der Eingangshalle stand eine Kopie einer sowjetischen SS-10-Rakete, was der Ministerpräsident sofort feststellen konnte. Zugleich sprach er davon, wie viele einzelne Gefechtsköpfe sich im Sprengkopf befanden und welche Sprengkraft sie hatten. Die Zahlen waren überholt, aber Carl nickte trotzdem zustimmend, als er von der Umgebung fragende Blicke erhielt. Selbstverständlich, aber ja, es seien hundert Kilotonnen pro Sprengkopf und vier individuell steuerbare Bomben (in Wahrheit waren es sechs mit einer Sprengkraft von je mindestens hundertfünfzig Kilotonnen). Alle waren von dem ungeheuren Sachwissen des Ministerpräsidenten beeindruckt.
    Carl äußerte sich unaufgefordert erst dann, als sie vor einer Tafel mit verschiedenen Geschwindigkeitsrekorden für Kampfflugzeuge standen. Aus irgendeinem Grund hörte die amerikanische Zeitmessung bei dem amerikanischen Spionageflugzeug SR-71 Blackbird auf. Danach war der Tafel zufolge nichts mehr schneller geflogen. Carl sah in diesem Zusammenhang plötzlich eine Art schwarzer Komik.
    »Das ist ja lustig«, sagte er unschuldig, »daß die Zeitmessung ausgerechnet mit der SR-71 aufhört. Interessanter Name für ein Flugzeug.«
    Niemand in der Umgebung begriff, worauf er abzielte, doch der Ministerpräsident zeigte sich sichtlich irritiert.
    »Wir sollten hier vielleicht nicht über Geheimnisse sprechen«, bemerkte er säuerlich. Das war natürlich ein Hinweis auf die Sprengladung mit der Bezeichnung SR-71, die sich bis auf weiteres von Bombenangriffen verschont in Libyen befand.
    »Nein, ich habe nicht direkt an Geheimnisse gedacht«, fuhr Carl fort, als hätte er den Nasenstüber nicht einmal bemerkt.
    »Aber du weißt ja, als die Russen es satt hatten, SR-71- Maschinen ständig über sich herumfliegen zu sehen, bauten sie die MIG-25 ›Foxbat‹. Die war darauf ausgelegt, SR-71- Maschinen einzuholen und abzuschießen. Möchte gern wissen, wozu sie die heute verwenden?«
    Der Ministerpräsident machte den Eindruck, als wollte er sagen, ach ja, das habe ich doch gewußt, das war mir doch bekannt. Doch dann verzog er den Mund ein wenig und erklärte, seines Wissens sei die SR-71 inzwischen ausgemustert, weil Lockheed ein noch schnelleres Aufklärungsflugzeug gebaut habe, das außerdem STEALTH-Eigenschaften besitze.
    Carl nickte ernst und nachdenklich und sagte dann eine halbe Stunde lang gar nichts mehr. Von Zeit zu Zeit ließ er nur ein bewunderndes Murmeln hören, es sei erstaunlich, welche Kenntnisse der Ministerpräsident von Kampfflugzeugen besitze. Doch als sie eine Abteilung erreichten, in der Porträts großer Fliegerhelden gezeigt wurden, sahen sie zunächst auf einem sehr großen Foto einen Amerikaner. Dieser hatte während des Krieges im Stillen Ozean vierundzwanzig japanische Maschinen abgeschossen und dafür das Navy Cross erhalten. Der Ministerpräsident gab seiner Bewunderung Ausdruck. Carl trat neugierig näher und entdeckte in der Reihe kleiner, unscharfer Porträts einen deutschen Piloten, der 247 Maschinen abgeschossen hatte, daneben einen Russen, der es auf mehr als hundert feindliche Flugzeuge gebracht hatte. Da stellte Carl die unschuldig klingende Frage, ob es nur einen einzigen Deutschen gegeben habe, der den amerikanischen Helden übertroffen habe, und einen einzigen Russen. Er versuchte sich den Anschein zu geben, als grübelte er vollkommen ernst über das intellektuelle Problem nach, warum die Amerikaner hier auch fremde Helden ehrten. Der Ministerpräsident biß jedoch nicht an und hielt keine Vorlesung des Inhalts, andere Teilnehmer am Zweiten Weltkrieg hätten größere Helden gehabt als ihre heutigen Gastgeber, die Amerikaner.
    Als er sein Gepäck jetzt in ein neues und besseres Hotel gebracht hatte, das er aus eigener Tasche bezahlte, und in Zivilkleidung mit dem Taxi zu einem zivilen Flughafen fuhr, um seine Frau zu treffen, entschloß sich Carl, den offiziellen Teil seines USA-Aufenthalts einfach aus dem Gedächtnis zu streichen.

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