Der einzige Sieg
nur im Notfall hinzugezogen werden sollten, besonders wenn es sich um eine bestimmte Art von Grenzverkehr handelte. Die Jungs waren ja auf Schmuggelfahrt gewesen, das war allen sonnenklar.
Der Pressedienst der russischen Botschaft in Helsinki schnitt die Artikel jedoch natürlich aus, übersetzte sie und schickte sie nach Moskau, der bürokratischen Vergessenheit entgegen, der Material dieser Art anheimzufallen pflegte.
Wie die Geschichte schließlich Boris Jelzin zur Kenntnis gelangte, war niemandem klar, zumindest nicht unter denen, die mit den dürftigen finnischen Zeitungsausschnitten zu tun gehabt hatten. Dennoch geschah es.
Kurze Zeit danach machte Jelzin seinen Schachzug. Er hatte dafür ein Medium von höchster Schlagkraft gewählt. Als die amerikanische Fernsehgesellschaft CNN ihn wegen bevorstehender Bemühungen interviewte, Abrüstungsabkommen zwischen den USA und Rußland zustande zu bringen, beharrte einer der Interviewer darauf, daß die Sicherheit bei Kernwaffen unter russischer Kontrolle wohl nicht die allerbeste sei?
Boris Jelzin erzählte dann in sehr ernstem Tonfall, es habe erstaunlich wenige Versuche Außenstehender gegeben, an russische Kernwaffen heranzukommen. Das beruhe darauf, daß die Kontrollen rigoros seien.
Aber. Einen solchen Versuch habe es Ende des vorigen Jahres tatsächlich gegeben, als ein gewisser Gorbatschow bedauerlicherweise noch immer die höchste Verantwortung für die auf dem Territorium der früheren Sowjetrepubliken lagernden Atomwaffen gehabt habe, bedauerlicherweise auch für die in Rußland.
Man habe auf russischem Territorium eine Expedition mit gestohlenen Kernwaffen aufgebracht, die außer Landes hätten geschmuggelt werden sollen. Diese Operation sei in Zusammenarbeit mit den Nachbarländern Finnland und Schweden erfolgt. Man habe die Schmuggler gefaßt und auf der Stelle hingerichtet, nun ja, offenbar bis auf einen jungen Mann aus Finnland, dem die Flucht gelungen sei. Die Geschichte zeige aber, wie hoffnungslos alle Schmuggelversuche dieser Art seien. Diejenigen, die nicht in Rußland geschnappt würden, würden festgenommen werden, sobald sie auf der anderen Seite der Grenze auftauchten. Sämtliche Nachbarn Rußlands seien mit dieser Zusammenarbeit einverstanden. Nein, es gebe wohl keine sicherere Methode, Selbstmord zu begehen, als den Versuch zu machen, russische Kernwaffen außer Landes zu schmuggeln.
Bei dem eigentlichen CNN-Interview sagte Boris Jelzin nicht viel mehr – das war auch gar nicht nötig, wenn er in erste Linie ein Höchstmaß an internationalem Aufsehen erregen wollte. Dafür sagte er am folgenden Tag in den eigenen Medien um so mehr.
Erstens entwickelte er eine These, die darauf hinauszulaufen schien, daß er Gorbatschow in letzter Minute das Ruder aus der Hand genommen habe, da dessen abenteuerliche Politik in dieser Hinsicht mehr als tadelnswert gewesen sei. Zweitens hoffe er, daß alle aus dieser traurigen Geschichte von Geldgier und mangelndem Verantwortungsgefühl einiger Menschen lernen könnten. Jeder solche Versuch werde mit dem Tod enden.
Drittens erzählte er, daß einige schwedische Offiziere jetzt mit dem neugestifteten Sankt-Georgs-Orden ausgezeichnet werden sollten, vor allem ihr Befehlshaber, ein schwedischer Flottillenadmiral, der Rußland schon früher große Dienste erwiesen habe. Auch ein amerikanischer Staatsbürger werde entsprechend ausgezeichnet werden, da er einen wichtigen Beitrag dazu geleistet habe, dem Komplott auf die Spur zu kommen.
Auf einem Gebiet waren die Folgen von Boris Jelzins Schachzug leicht vorherzusehen, beinahe zwangsläufig. Natürlich folgte jetzt eine Kaskade von aufgeregter Publizität, besonders in den beiden hauptsächlich betroffenen Nachbarländern.
Andere Folgen des Schachzugs erwiesen sich als weniger leicht vorhersehbar, was sich anhand des Stroms diplomatischer Mitteilungen erahnen ließ, die schon bald im Pendelverkehr zwischen Moskau, Washington, Stockholm und Helsinki hin und her liefen.
Für die internationalen Nachrichtenmedien war ziemlich selbstverständlich, welche Fragen schon bald beherrschend sein würden:
Wie nahe war die Welt einer Katastrophe gewesen? Wie groß war das Risiko neuer Versuche, Kernwaffen aus der früheren Sowjetunion zu schmuggeln? Wie werde man die internationale Zusammenarbeit zur Verhinderung einer solchen Schmuggeltätigkeit verstärken können, die Zusammenarbeit, die, wie der russische Präsident gesagt hatte, schon für erfolgreiche
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