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Der einzige Sieg

Der einzige Sieg

Titel: Der einzige Sieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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dementierende Katastrophe erzwungen hatten, würde etwas passieren. Es würde eine gewaltige Umwälzung geben. Carl war in der Gemeinschaft der westlichen Nachrichtendienste nicht der einzige, der an eine Entwicklung zu einer neuen Diktatur glaubte.
    Für solche Spekulationen gab es zwei objektive Gründe. Den einen Grund hatte er früher am Tag getroffen, und zwar in höchst eigener Person.
    Der russische Präsident Boris Jelzin hatte seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt: rotäugig wie ein Kaninchen und mit einem Atemhauch wie ein Drache. Jelzin hatte ihn behandelt, als wäre er ein Spielzeug, ihn gedrückt und umarmt, um die Schultern gefaßt, direkt zu den Fernsehkameras gedreht und bedauerlicherweise auch mehrmals geküßt.
    Es war eine richtige Show in den offiziellen Festsälen des Kreml gewesen. Natürlich hatte man auch nichts anderes beabsichtigt. Es hinterließ in Carl dennoch ein beißendes Gefühl des Unbehagens, obwohl er seit einigen Stunden Träger des Großkreuzes des russischen Sankt-Georgs-Ordens war.
    Mit einem Arm um Carls Schultern hatte sich Boris Jelzin an die Fernsehkameras gewandt und von Rußlands Stärke gesprochen und von Rußlands Freunden sowie davon, wie unmöglich es für die verbündeten Gangster und Händler sei, gegen eine solche Übermacht zu gewinnen; die ganze Welt stehe auf Rußlands (Boris Jelzins) Seite. Gegen eine solche vereinte Übermacht könne das Reich des Bösen nichts ausrichten. Boris Jelzin hatte sich tatsächlich so ausgedrückt und vom Reich des Bösen gesprochen. Carl fragte sich kurz, ob Boris Jelzin dabei bewußt gewesen war, daß Ronald Reagan diesen Ausdruck einmal auf die Sowjetunion angewandt hatte, kam aber zu dem Schluß, daß der russische Präsident im großen und ganzen kaum gewußt haben dürfte, was er sagte. Zum Glück gab es kein Bankett, da ohnehin alles nur für die Fernsehkameras gedacht war.
    Carl hatte sich einen kleinen Scherz erlaubt, einen der vielen sehr maßvollen Proteste, die er sich jetzt angelegen sein ließ.
    Den besonderen Konventionen zufolge, welche die Kunst betrafen, Auszeichnungen auf korrekte Art entgegenzunehmen, die Kunst, in der Carl sich beträchtliche Erfahrungen erworben hatte, sollte man sich zwar in Uniform einfinden, aber »sauber«, das heißt ohne irgendwelches Lametta aus anderen Ländern. Er hatte eine lustige Erfahrung an eine solche Ordensverleihung, als nämlich ein französischer Botschafter zu seiner Bestürzung gerade dort ein deutsches Bundesverdienstkreuz entdeckt hatte, wo statt dessen die Ehrenlegion hatte hängen sollen. Also, man durfte nichts von einem anderen Land anlegen.
    Carl hatte jedoch den Roten Stern angelegt, einen Orden, der tatsächlich wie ein roter Stern geformt war. Das war wohl ein Detail, das keinem Fernsehzuschauer in der ehemaligen Sowjetunion entgehen würde.
    Der rosa geschminkte Boris Jelzin war erstarrt und hatte einige schwindelerregende Augenblicke lang ausgesehen, als würde er einen cholerischen Wutausbruch bekommen. Dann hatte er sich beherrscht und notdürftig die gewohnte Maske beibehalten.
    Boris Jelzin war also der eine objektive Grund für die Spekulationen sämtlicher westlicher Nachrichtendienste über eine kommende Katastrophe in der ehemaligen Sowjetunion. Jelzin besaß in seinem eigenen Land keine Macht. Der einzige Grund dafür, daß weder die eine noch die andere Gruppierung ihn stürzte und in eine Anstalt für Alkoholiker einwies, war offenbar der, daß niemand das Risiko auf sich nehmen wollte, mit all den gewaltigen ökonomischen Problemen des Landes sitzenzubleiben. Denn wer die Macht übernahm, mußte natürlich versprechen, die Dinge zumindest so zu regeln, daß wieder das gleiche Niveau erreicht würde wie vor der Zeit von Glasnost und Perestroika.
    Der zweite objektive Grund hatte auf gewisse Weise etwas mit Carls eigentlichem Auftrag in Moskau zu tun. Vieles deutete darauf hin, daß die alte Sowjetarmee immer noch so funktionierte, als gäbe es die Sowjetunion noch. Sie war wie ein Staat im Staate, der jedenfalls keine Befehle von einem Trunkenbold entgegennahm.
    Damit ließ sich erklären, weshalb russische, wie man jetzt wohl sagen mußte, Mini-U-Boote immer noch in schwedischen Gewässern operierten. Den Politikern war es schwergefallen, das zu begreifen, wie es schien, sowohl schwedischen wie russischen. Es war ja durchaus möglich, daß russische Politiker vollkommen ehrlich waren, wenn sie versicherten, sie hätten keine Ahnung von

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