Der Eiserne König
Kampf erstickt worden waren, aber er war in Qualm gehüllt, und aus seinem Ohrstumpf quoll Blut.
»Du bist ja irre!«, brüllte er.
Die Jungfer spuckte sein Ohr aus. »Geiler Bock«, zischte sie und ging wieder auf ihn los.
»Sie haben uns vergessen«, flüsterte Kunz.
Aber er freute sich zu früh, denn wenige Herzschläge später bogen Karontiden um die Ecke. Beim Anblick der Keilerei blieben sie stehen. Eine wischte sich mit der Pranke die Reste des blutigen Mahls vom Maul. Dann röhrte sie und stürmte mit donnernden Tritten los, gefolgt von ihren Artgenossen.
Die drei Gefährten wichen in die Nische zurück. Sie konnten nichts tun, außer um ihr Leben bangen.
Sneewitt erwachte durch den Tumult aus ihrer Ohnmacht. Sie sah eine Karontide auf sich zustürmen und wollte aus dem Weg krabbeln, kippte wegen ihrer Schwäche aber sofort wieder um.
Als Hardt dies sah, hörte er auf, den Schnurrbart zu zwirbeln, und schrie: »Warte! Ich helfe dir!«
»Bleib hier, du Idiot!«, brüllte Horn.
Aber Hardt war schon losgerannt.
Die Karontiden hatten es nicht auf Sneewitt, sondern auf die beiden Streithähne abgesehen, die zwischen Martergestellen und Felswand miteinander rangen – Eisenhans reckte jubelnd ein Haarbüschel seiner Gegnerin, die nicht lange fackelte und einen Fleischbatzen aus seinem Oberarm fetzte. In diesem Augenblick glitt die vorderste Karontide auf den von Sanne geweinten Perlen aus. Sie fiel auf den Rücken und rutschte gegen das Gestell, in dem Hans hing – es wankte und brach dann knarrend über ihr zusammen. Ein Balkensplitter bohrte sich durch ein Auge in ihren Schädel. Sie röhrte, wälzte sich hin und her, wobei sie den auf ihrem Bauch gelandeten Hans abwarf, und erschlaffte röchelnd. Aus ihrer Augenhöhle quoll gelbes, zähflüssiges Blut.
Die nächste Karontide kam auch ins Rutschen. Sie breitete die Arme aus und versuchte, ihr Gleichgewicht zu halten, während sie auf den Perlen über den huckeligen Felsboden schlitterte. Hardt, der nur Sneewitt im Blick hatte, merkte zu spät, dass er ihren Weg kreuzte. Beim Zusammenprall stieß ihm die Karontide die hornigen Brustfortsätze in den Leib; so ineinander verkeilt, überschlugen sie sich und polterten gegen die Felswand.
Kunz schrie auf.
Eisenhans und die Jungfer kämpften weiter.
In diesem Moment traten Grimm und Barbera, deren Gesicht von Striemen entstellt war, aus dem Wurzellabyrinth. Beim Anblick des Tumults blieben sie wie angewurzelt stehen, und Grimm sah zu Kunz und Horn, die kreidebleich in der Nische standen.
Stille trat ein. Man hörte nur das Stöhnen des unter der Karontide begrabenen Hardts und das Sirren, mit dem Grimm sein Schwert zog. Sneewitt versuchte noch einmal vergeblich, sich aufzurichten.
Alle standen da und beäugten einander.
Da brandete Kampflärm auf. Ein Kultknecht hetzte aus den Tiefen der Grotte. Als er Barbera sah, bremste er ab und brüllte: »Die Köhler! Sie greifen uns mit der Unterstützung wilder Tiere an!«
Auch die übrigen, von Barbera ausgesandten Kultknechte wichen bei ihrem Rückzugsgefecht in den Bereich zwischen Wurzellabyrinth und Marterhöhle zurück. Dann erschien die rußgeschwärzte, hünenhafte Gestalt Harlungs; er schwang eine Doppelaxt. Dicht hinter ihm lief ein Braunbär, der sich brüllend auf die Hinterläufe erhob, als er die Karontiden witterte. Drei Dutzend mit Saufedern, Äxten und Schwertern bewaffnete Männer folgten Harlung dicht auf den Fersen – er hatte offenbar alle Köhler des Gretings zusammengerufen. Und nicht nur sie, denn auch die Keiler, mehrere Bären und einige Wölfe standen ihm zur Seite. Auf seinen Befehl hin schloss man die Reihen; die Köhler reckten die Waffen, die Tiere bleckten die Zähne.
In ihrer Bedrängnis fanden die Krieger des Eisernen Königs zur Einheit zurück: Karontiden, Kultknechte, Eisenhans, die Jungfer und Grimm sammelten sich. Ein durch Mark und Bein gehendes Gebrüll erschallte in der Grotte, als die Gegner aufeinander losgingen.
Die Esche bebte und ächzte und ließ einen Regen aus dürren Zweigen und Blättern auf das blutige Ringen niedergehen.
20. Der Kuss der Jungfrau
Nach einer weiten Biegung des Welsflusses kam der Werder mit der Feste der Gografen in Sicht. Drei um einen Hügel gestaffelte, mit Wehrtürmen versehene Wälle umgaben eine Burganlage mit Schloss, Bergfried und Wirtschaftsgebäuden. All das verbarg sich jetzt hinter einem hohen Hag. In der Nachmittagssonne glänzte sein Laub in einem satten Grün, das
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