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Der Engel Esmeralda

Der Engel Esmeralda

Titel: Der Engel Esmeralda Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Don DeLillo
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darüber nach. Todd sagte, das würde zu meinem Lebenswerk. Ich würde mein Leben in einer Gedankenblase verbringen, die Verbindung immer weiter herausdestillieren.
    Er hat keine eigene Toilette. Er teilt sich eine Toilette mit denKindern, scheint sie aber nie zu benutzen. Er ist so nahe an der Unsichtbarkeit, wie es ein Mensch in einem Sechserhaushalt sein kann. Sitzt da, denkt, verschwindet zu seinem Spaziergang.
    Es gab ein Bild, das wir gemeinsam vor Augen hatten: Der Mann, nachts im Bett, lässt die Gedanken schweifen – zurück zum Dorf, den Hügeln, den Familientoten. Wir gingen jeden Tag durch dieselben Straßen, wie besessen, und sprachen in gedämpfter Tonlage, auch wenn wir uneins waren. Das gehörte zur Dialektik, unsere Blicke voll nachdenklicher Missbilligung.
    Wahrscheinlich riecht er schlecht, aber das bemerkt als Einzige die älteste Tochter, dreizehn. Ab und zu schneidet sie Grimassen, wenn sie beim Essen hinter seinem Stuhl entlanggeht.
    Es war der zehnte sonnenlose Tag in Folge. Die Zahl war willkürlich, aber die Stimmung lastete allmählich auf uns, nicht die Kälte oder der Wind, sondern das fehlende Licht, der fehlende Mann. In unseren Stimmen schwang jetzt etwas Besorgtes mit. Wir erwogen, dass er womöglich tot sei.
    Darüber sprachen wir auf dem ganzen Rückweg zum Campus.
    Machen wir ihn zu einem Toten? Setzen wir sein Leben beharrlich weiter zusammen, posthum? Oder beenden wir es jetzt, morgen, übermorgen, hören auf damit, in die Stadt zu gehen und nach ihm zu suchen? Eines wusste ich: Er stirbt nicht als Albaner.
    Am nächsten Tag standen wir am Ende der Straße, wo sich das bestimmte Haus befand. Wir blieben eine Stunde lang dort stehen, wechselten kaum ein Wort. Warteten wir darauf, dasser erschien? Ich glaube, wir wussten es nicht. Was, wenn er aus dem falschen Haus käme? Was würde das bedeuten? Was, wenn jemand anders aus dem bestimmten Haus käme, ein junges Paar, das seine Ski-Ausrüstung zum Auto in der Einfahrt trug? Vielleicht waren wir einfach dort, um unsere Ehrerbietung zu erweisen, still dastehend in Gegenwart des Toten.
    Niemand kam heraus, niemand ging hinein, und wir brachen auf, mit unsicherem Gefühl.
    Minuten später, als wir auf die Bahnlinie zugingen, sahen wir ihn. Wir blieben stehen und zeigten aufeinander, verharrten einen Augenblick lang in der Pose. Es war äußerst befriedigend, es war aufregend, dass wir die Sache geschehen sahen, dass sie jetzt dreidimensional wurde. Er bog in eine Straße ein, die sich im rechten Winkel zu unserer befand. Todd schlug mir auf den Arm, drehte sich um und fing an zu rennen. Dann fing ich an zu rennen. Wir rannten zurück in die Richtung, aus der wir gerade gekommen waren. Wir liefen um eine Ecke, dann die Straße hinunter, dann wieder um die Ecke, und dort warteten wir. Nach einiger Zeit erschien er, kam jetzt auf uns zu.
    Das war’s, was Todd gewollt hatte, ihn von vorne sehen. Wir bewegten uns auf ihn zu. Er schien einer Art nachdenklicher Route zu folgen, mäandernd wie seine Gedanken. Ich zog Todd zu mir an den Rand des Bürgersteigs, damit der Mann nicht zwischen uns hindurchgehen musste. Wir warteten darauf, dass er uns wahrnahm. Wir konnten fast die Schritte bis zu dem Moment zählen, da er den Kopf heben würde. Es war ein Intervall, das durch lauter Einzelheiten straff gezogen wurde. Wir waren nahe genug dran, um das eingefallene, dichtstopplige Gesicht zu sehen, um den Mund herumnach innen gesunken, und das hängende Kinn. Jetzt sah er uns und hielt inne, eine Hand griff nach einem Knopf vorn auf der Jacke. Er sah gehetzt aus unter seiner schäbigen Kapuze. Er sah verirrt aus, isoliert, er konnte problemlos der Mann sein, den wir uns Stück für Stück ausmalten.
    Wir gingen an ihm vorbei, acht oder neun Schritte weiter, dann drehten wir uns um und schauten.
    »Das war gut«, sagte Todd. »Das hat’s total gebracht. Jetzt sind wir so weit, dass wir den nächsten Schritt angehen können.«
    »Es gibt keinen nächsten Schritt. Wir haben unseren Blick aus der Nähe gehabt«, sagte ich. »Wir wissen, wer er ist.«
    »Wir wissen gar nichts.«
    »Wir wollten ihn noch einmal sehen.«
    »Waren ja bloß ein paar Sekunden.«
    »Was hast du vor, ein Foto machen?«
    »Ich muss mein Handy aufladen«, sagte er ernsthaft. »Übrigens, die Jacke ist ein Anorak, definitiv, aus der Nähe betrachtet.«
    »Die Jacke ist ein Parka.«
    Der Mann war zweieinhalb Blocks von der Linksabbiegung entfernt, die ihn auf seine Straße, zu

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