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Der Erdrutsch (German Edition)

Der Erdrutsch (German Edition)

Titel: Der Erdrutsch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Martin Meyer
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der
Lawine. Das Gebäude wurde mitgezogen. Es drehte sich halb um sich
selbst, brach in sich zusammen. Das Wasser des Schwimmbades schoss
aus einer Öffnung und ergoss sich über den Hang. Das Haus rutschte
langsam etwa hundert Meter den Hang hinab. Dabei riss es den halben
Parkplatz und die darauf stehenden Autos mit sich. Die neu
gepflanzten Apfelbäume wurden wie von einem Bügeleisen
niedergedrückt. Etwas weiter abwärts wurde das Gebäude, oder das,
was noch davon übrig war, von den Bäumen des alten Waldes
aufgehalten. Die Lawine kam zum Erliegen. Über dem Hang stand die
Staubwolke. Weitere Steine rutschten nach und schlugen in die Trümmer
ein. Bald waren es nur noch vereinzelte. Dann hörte es ganz auf.
Dann wurde es still. Langsam verteilte sich der Staub über den
Abhang. Er sank ins Tal hinab und bedeckte alles unter sich. Es war,
als wenn die Zeit zum Stillstand gekommen wäre.
    Paul erwachte aus der Erstarrung und glaubte, taub zu sein. Er drehte
sich um und starrte die anderen an. Er war als einziger stehen
geblieben. Luise saß auf der Erde, ihr Mund war leicht geöffnet,
ihr Gesicht aschfahl. Johan erhob sich wieder, schwankte kurz, griff
hinter sich, um sich abzustützen. Der Staub kam auch auf sie zu. Wie
dichter Nebel zog er durch den Wald, an dessen Rand sie sich immer
noch befanden. Dann waren sie von ihm umgeben. Bald konnten sie nur
noch wenige Meter weit sehen. Der Staub biss in den Augen und er
kroch bis in die letzten Winkel der Lunge. Paul stand am Berghang und
sah hinab.
    „ Scheiße,
Elsbeth war doch in der Pension“, murmelte er.
    Jetzt erhob sich auch Luise. Sie blickte ihn betroffen durch den
dichten Staub an. Etwas unter ihnen wurden die ersten Stimmen laut.
Eine Frau weinte. Mehrere Männerstimmen riefen sich etwas zu. Es
roch verbrannt. Der Wind trug nach und nach den Staub fort. Die Sicht
klarte langsam auf. So konnten sie nach einer Weile das Maß der
Zerstörung von oben erkennen.
    Im Dorf unterhalb von ihnen rannten Menschen aus den Häusern. Soweit
Paul die Situation von oben überblicken konnte, war die Pension das
einzig betroffene Gebäude. Die anderen Häuser lagen weit genug von
der Schneise entfernt, die die Lawine gerissen hatte. Lediglich ein
Haus in dem Wald, der den Erdrutsch gestoppt hatte, schien noch ein
paar kleinere Schäden abbekommen zu haben. Aber die Straße ins Tal
war blockiert. Stein-, Erd- und Geröllmassen hatten sich über den
Weg ergossen und jede Verbindung zum Dorf abgeschnitten.
    Von den umliegenden Höfen kamen die Menschen zur Unglücksstelle.
Die ersten erreichten gerade das eingestürzte Gebäude der Pension,
indem sie über die Geröllhalde kletterten. Sie räumten die Steine
zur Seite, gaben aber bald wieder auf. Paul blickte nach unten. Eine
Sirene heulte.
    „ Was
machen wir denn jetzt?“, flüsterte Luise.
    „ Lasst
uns erst mal hier oben bleiben und abwarten“, meinte Johan.
    „ Ich
gehe runter und gucke, ob ich helfen kann.“
    Paul griff nach seinem Rucksack und kletterte den Berg hinunter. Er
nahm den direkten Weg über die Wiesen, anstatt über den Weg zu
gehen, der auf der einen Seite durch den Erdrutsch abgeschnitten war
und auf der anderen Seite erst nach einer langen Schleife zum Ort
führte.
    „ Also
ich bleibe lieber hier.“ Luise setzte sich wieder hin. Sie war
immer noch sehr blass. Wieder stieg Staub am Hang auf. Eine kleine
Lawine rutschte nach. Unten gab es lautes Geschrei. Die Männer
rannten weg. Aber es passierte nichts. Der kleine Erdrutsch stoppte
weit oberhalb von ihnen.
    „ Ich
gehe auch runter. Vielleicht kann ich irgendwo helfen“, meinte
Johan und wollte losgehen, wurde aber sofort von Luise
zurückgehalten.
    „ Johan,
bleib hier. Paul muss den Helden spielen. Lass ihn.“
    Johan drehte sich zu ihr um, schaute sie einen Moment lang an. Dann
blickte er wieder auf das Geschehen unter sich. Er sah Paul auf
halbem Weg nach unten. Er war unschlüssig, doch dann gab er Luise
Recht und kehrte um. Er setzte sich auf seine Jacke und wartete ab.
    Ein Hubschrauber knatterte durch das Tal. Paul hob im Gehen den Kopf.
Er beobachtete, wie die Maschine immer näher kam, um schließlich
hoch über dem Trümmerfeld in der Luft stehen zu bleiben. Aus dem
Tal hörte er Sirenen. Nach ein paar Minuten flog der Hubschrauber
wieder weg. Ein Trecker fuhr den Schotterweg entlang und bog auf die
geteerte Straße ein. An der von Geröll verschütteten Straße hielt
er. Ein paar Männer räumten mit den Händen Steine weg.

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