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Der Esper und die Stadt

Der Esper und die Stadt

Titel: Der Esper und die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine McLean
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My­thos oder ein Mär­chen.
    Ne­ben mir stand der Ge­fan­ge­ne, den ich ge­ret­tet hat­te. Er sah eben­falls zu und zerr­te da­bei ver­zwei­felt an sei­nem le­der­nen Kne­bel. Ich gab ihm das Op­fer­mes­ser und be­trach­te­te wei­ter den Bild­schirm.
    Der flie­gen­de schwar­ze Dä­mon strau­chel­te. Die Pries­ter pack­ten ihn, zo­gen ihn zum Al­tar und war­fen ihn rück­lings auf die Stein­plat­te. Je­de ih­rer Be­we­gun­gen zeig­te, wie sehr sie sich an­streng­ten und un­ter wel­chem Streß sie stan­den. Vor Wut und Angst schäu­mend hob der Ho­he­pries­ter sein Mes­ser und eil­te auf die wehr­lo­se schwar­ze Ge­stalt, die er­folg­los ge­gen ih­re Wi­der­sa­cher kämpf­te, zu.
    „Groß­ar­ti­ge schau­spie­le­ri­sche Leis­tung“, mur­mel­te ein uns zu­se­hen­der Mann. „Ich hof­fe, Sie wer­den einen Preis da­für krie­gen.“
    Ich hat­te ganz ver­ges­sen, daß ich es war, den man auf dem TV-Schirm sah. Ich schau­te wei­ter zu. Ne­ben mir riß sich der Ge­ret­te­te den Kne­bel aus dem Mund. Schwerat­mend blieb er ste­hen und gaff­te.
    Der Fern­seh­mann mit dem Zei­ge­stock er­klär­te nun die Be­deu­tung des Ri­tuals, aber die vor­bei­strö­men­den Mas­sen hör­ten ihm nicht mehr zu. Statt des­sen be­ob­ach­te­ten die Leu­te die Hand­lung und ver­spür­ten ei­ne Wel­le von Furcht und Auf­re­gung. Der Ho­he­pries­ter auf dem Bild­schirm hol­te weit mit sei­nem Mes­ser aus, warf einen Blick auf die über ihm ste­hen­de Son­ne und stieß es dann her­ab, was den Ein­druck er­weck­te, er wür­de die Brust des schwar­zen Dä­mons auf­schlit­zen und ihm das Herz her­aus­schnei­den. Sei­ne wi­der­sprüch­li­chen Ges­ten wa­ren echt, aber als er der Son­ne die Ar­me ent­ge­gen­hob, gab es we­der Blut noch ein Herz zu se­hen, und die schwar­ze Ge­stalt mit dem ver­deck­ten Ge­sicht stand im­mer noch da und sah ihn an. Die zu­se­hen­de Men­schen­men­ge stieß mit ei­nem er­leich­ter­ten Seuf­zer die Luft aus und fing an zu mur­meln.
    Der ält­li­che Gent­le­man auf dem Bild­schirm er­klär­te et­was. Die Leu­te hör­ten wie­der zu. „Im Ge­gen­satz zur Früh­jahrs­son­nen­wen­de al­ler­dings, die den Tod und die Wie­der­er­we­ckung des Le­bens zeigt, wird in die­sem Fal­le der Op­po­nent – die Gott­heit, die den Win­ter, die Nacht und den Tod re­prä­sen­tiert – von den tri­um­phie­ren­den Kräf­ten des Som­mer­lichts auf dem Al­tar ge­op­fert. Aber den­noch stirbt die­se Gott­heit nicht, denn den Tod kann man nicht tö­ten. Der Tod und die Fins­ter­nis wer­den im­mer wie­der zu­rück­keh­ren, wenn es für sie an der Zeit ist.“
    Der ne­ben mir ste­hen­de Ge­ret­te­te sag­te: „War ich da oben? Ha­be ich das mit­ge­macht?“
    Ich sah ihn mir an. Er hat­te das le­der­häu­ti­ge, dunkle Raub­vo­gel­ge­sicht von Ak­bar His­ham, dem Kö­nig der ara­bi­schen Flücht­lings­en­kla­ve. Jetzt, wo er sich das gan­ze Stroh vom Leib ge­ris­sen hat­te, trug er nur noch zer­lump­te Bein­klei­der. Dort, wo man das Stroh hin­ein­ge­steckt hat­te, wie­sen sie zahl­rei­che Lö­cher auf. Er sah aus wie ein Clown in gel ber Un­ter­wä­sche. Ich lä­chel­te aber nicht.
    Vor ei­ner Wo­che hat­te ich ihn schon ge­nug be­lei­digt, denn als ich zu­sam­men mit Ah­med aus sei­nem Reich ge­flo­hen war, hat­te er uns als Stöp­sel ge­dient. Und nun be­schul­dig­ten die Ara­ber mich, ich hät­te et­was mit Ak­bar His­hams Ent­füh­rung zu tun. Ich war froh, daß ich ei­ne Mas­ke trug.
    Die Men­ge schrie, als die schwar­ze Ge­stalt wie ein Ski­sprin­ger auf ei­ner Sprungschan­ze die großen Stu­fen der Py­ra­mi­de hin­un­ter­jag­te. Das Klang­sys­tem der TV-An­la­ge wur­de lau­ter. Die Stim­me des Ex­per­ten brüll­te über das Ge­schrei der Men­ge hin­weg. „Und er nimmt ein Op­fer, das die Hälf­te des Jah­res sym­bo­li­siert, mit sich hin­un­ter in die Re­gi­on der dunklen, kal­ten und im­mer­wäh­ren­den Nacht.“
    Ak­bar His­ham sah im­mer noch zu mir auf und ver­such­te das mensch­li­che Ge­sicht un­ter der Mas­ke zu er­spä­hen. Das selt­sa­me, schwarz­sil­ber­ne Ge­sicht kam ihm sicht­lich un­heim­lich vor. „Ich sym­bo­li­sie­re al­so ei­ne

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