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Der Esper und die Stadt

Der Esper und die Stadt

Titel: Der Esper und die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine McLean
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spür­te, wie das Ge­wicht des Man­nes mei­ne rech­te Schul­ter nach un­ten zwang. Ich kipp­te zur Sei­te. Die lin­ke Dü­se rutsch­te nach oben, ans En­de der ver­län­ger­ten Bar­rie­re. Der schlaf­fe Kör­per des Man­nes rutsch­te mir von der Schul­ter und glitt über die rech­te Bar­rie­re, die er da­mit nach un­ten schob. Als wir kopf­über fie­len, pack­te ich mit bei­den Hän­den nach ihm, und mei­ne Fin­ger rutsch­ten über das Stroh. Mit ei­nem Blick sah ich, wie die ent­fern­ten Ge­bäu­de und un­ter uns lie­gen­den Stra­ßen rasch nä­her ka­men. Die Dü­sen zwan­gen mich schnel­ler nach un­ten, als der Kör­per fal­len konn­te. Mei­ne Fin­ger krall­ten sich in un­ter dem Stroh be­find­li­che Rie­men, und ich nahm den Mann wie einen Kof­fer an die lin­ke Hand. Einen Mo­ment lang stand ich wie­der auf­recht und blieb in kon­stan­ter Hö­he, dann voll­führ­ten die Dü­sen einen leich­ten Schwenk nach links, und un­ter mir glit­ten Stra­ßen, Häu­ser, der blaue Him­mel und die strah­len­de Son­ne vor­bei. Ich zog den Mann hin­auf, drück­te ihn an mei­ne Brust. Er­neut ver­harr­ten wir, dann be­weg­ten uns die Dü­sen in ei­nem lang­sa­men Bo­gen vorn­über. Die Ge­brauchs­an­wei­sung die­ser Ap­pa­ra­tur be­sagt zwar, daß das Sys­tem ab­so­lut sta­bil ist, aber sie warnt einen auch da­vor, ir­gend­wel­che Ge­wich­te mit sich zu schlep­pen.
    Der Loo­ping, den wir be­schrie­ben, war nicht bes­ser als der freie Fall. Beim Start war der Bo­den noch weit von uns ent­fernt ge­we­sen, aber nun wur­de er im­mer grö­ßer und kam nä­her. Ich er­in­ner­te mich an ein schwan­ken­des Ka­nu. „Setz dich hin, ver­klei­ne­re das Zen­trum der Schwer­kraft“, sag­te die Stim­me des Ka­nus­port­leh­rers, die mir plötz­lich ein­fiel.
    Ab­rupt kam al­les zur Ru­he. Ich schweb­te auf der Hö­he des drit­ten Stock­werks, trieb wie ein Bal­lon auf der Ebe­ne der Ar­ka­den über den Bäu­men – und über dem großen Zen­tral-Bild­schirm am Kreu­zungs­platz. Mas­kier­te Ge­sich­ter in vie­len Far­ben schau­ten zu mir auf. Ei­ne selt­sa­me Stil­le be­herrsch­te die Stadt, dann er­klang ein be­geis­ter­tes Auf­brül­len und ein Klat­schen, das sich wie Ap­plaus an­hör­te. Das Ge­trom­mel und die Schrit­te mar­schie­ren­der Ka­pel­len setz­te wie­der ein; die Kar­ren fin­gen an, sich wie­der durch die Stra­ßen zu be­we­gen.
    Auf die­ser Ebe­ne war es bei­na­he wind­still, aber trotz­dem trieb ich leicht da­hin und schweb­te. Das Ge­wicht des Man­nes zog mich nach un­ten. Ich hat­te bei­de Hän­de um sei­nen Leib ge­schlun­gen. Sein Kopf und sei­ne Bei­ne bau­mel­ten schlaff nach un­ten. Er war schwer, sah aber im­mer noch wie ei­ne Stroh­pup­pe aus.
    Ich über­prüf­te sei­ne Vi­bra­tio­nen. Sei­ne Angst war ge­rin­ger als die, die ich ge­habt hat­te. Haupt­säch­lich wun­der­te es ihn, wie herb man mit ihm um­ge­sprun­gen war. Da sein Ge­sicht von Stroh be­deckt war, konn­te er nichts se­hen. Das hat­te ihm ein paar Sor­gen er­spart! Ich zit­ter­te im­mer noch. Die Son­ne, die auf uns her­un­ter­schi­en, kam mir gar nicht all­zu heiß vor. Der Dü­sen­gür­tel schi­en zu re­gis­trie­ren, daß der Bo­den un­ter mir un­eben – vol­ler Bäu­me und Men­schen – war und hielt mich in der Schwe­be, oh­ne dem Bo­den nä­her zu kom­men.
    Der große TV-Schirm un­ter mir zeig­te ei­ne Auf­zeich­nung der letz­ten zehn Mi­nu­ten: Nah­auf­nah­men der Az­te­ken­py­ra­mi­de, das Ein­tref­fen der Pries­ter und den Men­schen­strom, der die Pup­pen und den Thron des „ge­fan­ge­nen Kö­nigs“ aufs Dach ge­bracht hat­te. Im Mo­ment der Op­fe­rung ging die Auf­zeich­nung auf Di­stanz, da­mit es nicht all­zu deut­lich sicht­bar wur­de. Der Schat­ten des az­te­ki­schen Ka­len­der­scheins er­hob sich matt über der Sze­ne­rie; ein gi­gan­ti­sches Rad mit selt­sa­men Sym­bo­len, des­sen Spit­ze und Zen­trum von der Son­ne be­schie­nen wur­de. Ir­gend je­mand hat­te die Auf­zeich­nung so be­ar­bei­tet, daß die Of­fen­sicht­lich­keit der Ge­walt her­un­ter­ge­spielt wur­de. Dann ging die TV-Ka­me­ra wie­der nä­her her­an und zeig­te ei­ne große, schwar­ze Dä­mo­nen­ge­stalt,

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