Der Falke von Aryn
dort, habe mir den Ort angesehen … vieles von dem, was in dem Geständnis stand, konnte nur der Mörder wissen, aber ich glaube nicht, dass Eure Suche bei Angardt ein Ende findet.«
Lorentha nickte. So ganz hatte sie es nicht glauben können. Es fühlte sich nicht richtig an für sie. Es mochte sein, dass ihr Auftritt auf dem Ball gestern Abend den Mörder aufgeschreckt hatte, aber wenn der Bankier der Mörder gewesen wäre, hätte es mehr Sinn ergeben, zu versuchen, sie anzugehen, ihr einen Attentäter auf den Hals zu schicken. Wenn diese Versuche gescheitert wären und sie wirklich vor seiner Tür gestanden hätte, hätte er sich immer noch selbst richten können.
»Warum glaubt Ihr nicht, dass er der Mörder war?«
Der Gouverneur seufzte, etwas, das er heute öfter getan hatte. »Was soll ich sagen? Angardt ist einfach nicht der richtige Mann dafür. Es ist nur ein Gefühl. Ich … es wäre zu einfach, findet Ihr nicht?«
»Aber Ihr habt es verbreiten lassen?«, fragte Raphanael.
Der Graf nickte. »Ich hielt es für besser, dass der Mörder glaubt, seine Täuschung sei gelungen.« Er zuckte hilflos mit den Schultern. »Es mag sein, dass ich mich irre, das Geständnis ist durchaus überzeugend, aber … ich kann mir nicht vorstellen, dass Angardt gegen Evana hätte vorgehen wollen.«
»Also sind wir noch am Anfang«, stellte Lorentha fest. »Nur dass es jetzt ein Opfer mehr gibt.«
»Nein«, widersprach Raphanael gelassen. »Wir wissen mehr. Wir wissen, dass er noch lebt, dass es wahrscheinlich ist, dass er auf Simers Ball war, und wir wissen, dass er dich fürchtet. Sonst hätte er es nicht mit dieser Täuschung versucht.«
»So ist es«, nickte der Graf und sah erst fragend zu Raphanael und dann zu Lorentha hin.
»Habt Ihr in Angelegenheit des Falken Fortschritte machen können?«
»Wir haben ein paar Namen«, antwortete Lorentha. »Vorneweg Leutnant Serrik von der Garda. Eure Nachlässigkeit hat dafür gesorgt, dass man mit dem Finger direkt auf die Garda zeigen wird, wenn der Diebstahl des Falken bekannt wird, denn es besteht nicht der geringste Zweifel daran, dass Serrik und seine Komplizen den Falken gestohlen haben. Wenn der Diebstahl des Falken jetzt publik wird, wird sich die Wut der Leute hier auf das Reich und kaiserliche Loyalisten richten. Etwas, das nur möglich wurde, weil Ihr diese verdammte Petition unterzeichnet habt, obwohl Ihr wissen musstet, dass ausgerechnet Mollmer nicht der Mann war, der im Kaiserfeld bestattet gehört.«
»Ja«, sagte der Graf. »Deshalb habe ich mehrfach abgelehnt, doch als Serrik auftauchte und schon wieder davon sprach, habe ich zugestimmt, einfach nur, damit Mollmer unter der Erde landet und ich ihn endlich vergessen konnte.«
»So erfolgreich wart Ihr damit nicht«, merkte Raphanael an, was ihm einen ärgerlichen Blick des Grafen einbrachte.
»Als ob ich das nicht selbst wüsste!«
Lorentha räusperte sich, um die Aufmerksamkeit des Grafen wieder auf sich zu lenken, und sprach dann weiter. »Wir müssen diesen Serrik finden, und zwar lebend. Von Euch erhoffe ich mir, dass Ihr mich in allen Belangen unterstützt!«
»Ja, sicher«, sagte der Graf, der von der Vehemenz der Majorin etwas überrascht schien.
»Ich werde die Stadtwache anweisen, Euch in jeder Form zu unterstützen.«
»Die Garda zu unterstützen, ist sowieso die Pflicht der Wache«, meinte Lorentha.
»Ja«, gab der Graf zu und schaute verlegen drein. »Aber nach den letzten Jahren sollte man sie daran erinnern.«
Damit hatte er wohl recht, gestand sich Lorentha ein.
»Kann ich sonst noch etwas tun?«
Sie nickte. »Lasst Steckbriefe fertigen und die auslaufenden Schiffe nach ihm oder seinen Männern durchsuchen.« Sie wandte sich zum Gehen, blieb dann aber stehen, um zu ihm zurückzusehen. »Es mag sein, dass Ihr Gerüchte darüber hört, dass sich jemand an der Totenruhe eines verdienten Offiziers der Garda vergreifen würde. Wenn es an Euch herangetragen wird, in welcher Form auch immer, wehrt es ab, es ist nur ein Gerücht. Wenn Ihr mich jetzt entschuldigen wollt …«
Der Graf nickte nur schwach.
Lorentha trat zur Tür, zog sie auf und stand einem überrascht und betreten dreinschauenden Lord Visal gegenüber, der die Hand zum Klopfen erhoben hatte. Sie sah sich im Vorzimmer um, Fellmar war nirgendwo zu sehen, Visal konnte also schon länger dort gestanden haben.
»Valkin«, begrüßte sie ihn mit einem kalten Lächeln. »Was suchst du denn hier?«
»Ich bin jetzt Lord Visal«,
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