Der Fall
trocken-staubige Luft in der U-Bahn ließ sie in Schweiß ausbrechen. Sie schloss die Augen und versuchte die anderen Fahrgäste zu vergessen. Sie versuchte Jared und Kozlow und den Kerl mit den eingefallenen Wangen zu vergessen. Und sie versuchte, nicht an ihre Eltern und ihre Familie zu denken und daran, was passieren würde, wenn sie den Fall verlor. Aber sosehr sie sich auch bemühte, und so viele andere Dinge sie auch zu ignorieren schaffte, konnte sie nicht aufhören, an Pop zu denken. Nie würde sie die Angst in seinen Augen vergessen, als er in das Krankenzimmer geschoben worden war. Sie hätte ihn fast verloren und er wusste es. Sie hatten Pop kleingekriegt. Das war es, was ihr nicht aus dem Kopf gehen wollte. Zugleich war ihr auch sehr deutlich bewusst, dass sie ihrem Mann das Gleiche antun konnten. Reiß dich zusammen, sagte sie sich schließlich und umklammerte den Griff ihrer Aktentasche noch fester. Es wird schon klappen.
Als die U-Bahn in der Seventy-ninth Street hielt, zwängte Sara sich aus dem Waggon. Sie konnte es kaum erwarten, an die frische Luft zu kommen, und stieg, so schnell sie konnte, zum Ausgang hoch, wo sie endlich mit einem erleichterten Seufzer aufatmete. Auf dem Weg nach Hause versuchte sie sich einzureden, dass alles gut gehen würde – dass sie nur Ruhe bewahren musste und nicht den Kopf verlieren durfte.
Doch als sie in ihre Straße bog, hörte sie hinter sich jemanden sagen: »Hallo, Sara. Wie geht’s?«
Als sie herumwirbelte, stellte sie zu ihrer Erleichterung fest, dass es nur Joel Westman war, der über ihnen wohnte. »Entschuldigen Sie, Joel. Ich dachte, es wäre jemand anders.«
»Tut mir leid, wenn ich Sie erschreckt habe«, sagte Westman, als er sie einholte. »Fehlt Ihnen auch nichts? Sie sehen nicht gut aus.«
»Nein, nein, alles in Ordnung«, sagte Sara, während sie sich ihrem Haus näherten. »Ich glaube nur, ich bekomme eine Erkältung. War eine anstrengende Woche.«
»Das kann ich gut verstehen. Die Arbeit kann einem manchmal wirklich über den Kopf wachsen. Übrigens, was ist denn mit Ihrer Aktentasche passiert?«
Als Sara nach unten blickte, sah sie, dass jemand das Wort Gewinnen in das Leder geritzt hatte. Einen Moment stand ihr das Herz still. Die Bedrohung war näher, als ihr bewusst gewesen war – sogar so nahe, dass sie in der U-Bahn direkt neben ihr gestanden hatte.
12
Donnerstagmorgen stand Sara vor dem Haus in der East Eightysecond Street 201 und wartete aufgeregt auf Conrad Moore und Guff. Es war über eine Woche her, dass sie mit Patty Harrison gesprochen hatte, und sie wusste, sie stünde beim Prozess auf verlorenem Posten, wenn sie nicht bald etwas Brauchbares an Land zog. Als sie auf das alte, aber tadellos erhaltene braune Sandsteinhaus mit den Topfpflanzen am Eingang und den hohen, eleganten Fenstern blickte, konnte sie nicht umhin, Claire Donigers Zuhause mit dem ihren zu vergleichen. Während ihr und Jareds Mietshaus den Charakter der Upper West Side hatte, hatte das von Claire Doniger die Noblesse der Upper East Side.
Ein Taxi hielt am Straßenrand und Guff und Conrad Moore stiegen aus. »Hier also ist Kozlow sein kleiner Fehltritt unterlaufen?«, sagte Guff und blickte an dem Haus hoch.
»Sehen Sie es sich gut an«, sagte Conrad Moore. »Versuchen Sie sich alle Abläufe, wie Sie sie kennen, vorzustellen, und dann überlegen Sie, ob sie unter diesen örtlichen Gegebenheiten hätten stattfinden können.« Auf Moores Rat hin betrachteten die drei das Gebäude und versuchten sich vorzustellen, wie Officer McCabe Kozlow vor Claire Donigers Haustür schleppte und Patty Harrison durch ihren Spion spähte.
»Okay, ich bin fertig«, sagte Guff nach einer halben Minute. »Können wir jetzt reingehen?«
»Still«, sagten Moore und Sara gleichzeitig.
Als sie fertig damit waren, die Fassade des Gebäudes zu studieren, stiegen Moore und Guff die Eingangstreppe hinauf. Doch Sara sagte: »Einen Augenblick noch! Zuerst möchte ich mit Ms. Harrison sprechen. Ich konnte sie seit der Sitzung der Grand Jury nicht mehr erreichen.« Sie ging über die Straße zu Patty Harrisons Sandsteinhaus. Moore und Guff folgten ihr.
Als Sara klingelte, legte Moore den Finger auf den Spion.
»Warum tun Sie das?«, fragte Sara.
»Wenn sie uns sieht und nicht mit uns sprechen will, wird sie so tun, als wäre sie nicht zu Hause«, flüsterte er. »So dagegen muss sie fragen –«
»Wer ist da?«, rief jemand hinter der Tür. Moore grinste.
»Ms. Harrison, hier ist
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