Der falsche Apostel
wahr, Schwester, ist wirklich wahr. Der Geist von Mugrán wird uns bald holen.
Unsere Tage auf Erden sind gezählt.«
Fidelma schloss die Augen und dachte eine Weile angestrengt nach. »Nur der Lebendige Gott entscheidet, welche Lebensspanne
dir zugemessen ist«, sagte sie halb geistesabwesend.
Beklommen standen die Wirtsleute da und betrachteten Fidelma, die sich in der Wärme des Feuers räkelte. Schließlich meinte
sie: »Da ich nun einmal hier bin, brauche ich was zu essen und ein Bett für die Nacht.«
Zustimmend neigte Belach das Haupt. »Das sollst du haben, Schwester. Sei uns willkommen. Aber ob du so gut bist und ein Gebet
vor Unserer Lieben Frau sprichst? Damit dieser grässliche Spuk aufhört. Sie ist die gebenedeite Mutter unseres Herrn Jesus
und fordert gewiss nicht unseren baldigen Tod.«
Fidelma machte eine ungeduldige Handbewegung. »Ich würde nicht gleich alle Übel der Welt der Heiligen Familie aufbürden«,
meinte sie tadelnd. Doch als sie ihre verängstigten Mienen sah, fügte sie sich dem Gottverständnis der beiden. »Ich werde
für euch zu Unserer Lieben Frau beten. Aber jetzt bringt mir was zu essen.«
Irgendetwas ließ Fidelma aufwachen. Ihr Herz schlug rascher, ihr Körper war angespannt. Das Geräusch hätte auch zu ihrem |539| Traum gehören können. Ein schwerer Gegenstand war herabgefallen. Reglos lag sie da und überlegte, was es gewesen sein könnte.
Offensichtlich hatte der Sturm nachgelassen. Hinter den Fensterladen der kleinen Kammer, die ihr Monchae zum Schlafen zugewiesen
hatte, war es still, geradezu unheimlich still sogar. Sie rührte sich nicht, lauschte angestrengt.
Dann knarrte es. In den alten Balken des Gasthofs knarrte und knackte es ohnehin ständig. Hatte sie wirklich nur geträumt?
Sie wollte sich auf die Seite legen, da hörte sie wieder ein Geräusch, konnte sich aber nicht erklären, was es war. Und jetzt
noch einmal, ein dumpfer Aufschlag.
Sie zwang sich, das warme Bett zu verlassen, und zitterte in der Kälte; Mitternacht musste längst vorbei sein. Sie langte
nach ihrem schweren Umhang und legte ihn sich um die Schultern. Auf Zehenspitzen schlich sie zur Tür, öffnete sie, so leise
es eben ging, und horchte. Das Geräusch war von unten gekommen.
Sie wusste, dass außer ihr, Monchae und Belach niemand im Gasthof war. Die Wirtsleute hatten sich in ihre Schlafstube am oberen
Treppenabsatz zur Ruhe begeben. Sie blickte nach oben, die Tür dort war zu.
Auf leisen Sohlen wie eine Katze tappte sie zur Treppe und starrte nach unten. Sonderbare Laute ließen sie erstarren. Es klang,
als ob etwas Weiches und doch Schweres über die Dielen geschleift wurde. Von der Treppe konnte sie in den Gastraum sehen,
wo die Glut des ausgehenden Feuers flackernde Schatten an die Wände warf. Fidelma biss in der Kälte die Zähne zusammen. Wenn
sie doch nur eine Kerze hätte! Langsam stieg sie die Stufen hinunter und trat dabei auf ein loses Brett, das laut knackte.
In der Stille der Nacht hallte das wie ein Donnerschlag.
Daraufhin schlurfte und scharrte etwas im Raum unten und |540| veranlasste sie, beherzt die letzten Stufen zu nehmen. »Ist da wer?«, rief sie in die Düsternis. »In Christi Namen, gib dich
zu erkennen!« Dabei pochte ihr Herz wild, und sie hatte Mühe, ihre Stimme gebieterisch klingen zu lassen.
Von weiter weg kam ein dumpfer Ton, dann herrschte völlige Stille. Sie sah sich in der großen Gaststube um, verfolgte die
rötlichen, über die Wände huschenden Schatten. Etwas Genaues auszumachen war unmöglich.
Doch … da war wieder ein Geräusch hinter ihr.
Sie fuhr herum. Auf der Treppe stand Belach, und seine Frau schaute ihm ängstlich über die Schulter.
»Hast du es auch gehört?«, flüsterte er.
»Ich habe es gehört.«
»Gütiger Gott, schau herab auf uns«, seufzte der Mann.
Fidelma schniefte unbeherrscht. »Zünd eine Kerze an, Belach. Wir müssen alles absuchen.«
Der Wirt zuckte die Achseln. »Hat gar keinen Zweck, Schwester. Jede Nacht haben wir die Geräusche gehört, haben gesucht noch
und noch. Gefunden haben wir nichts.«
»Ist ja auch nicht zu erwarten, dass ein Gespenst greifbare Spuren hinterlässt«, unterstützte ihn seine Frau.
»Doch Geräusche kann es machen, wie?«, knurrte Fidelma. »Nur etwas, das körperlich vorhanden ist, kann Geräusche verursachen.
Los, sorge für Licht.«
Widerstrebend zündete Belach eine Lampe an. Der Wirt und seine Frau blieben an der Treppe stehen
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