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Der falsche Auserwählte (Ein Artesian Roman) (German Edition)

Der falsche Auserwählte (Ein Artesian Roman) (German Edition)

Titel: Der falsche Auserwählte (Ein Artesian Roman) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Merten
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trieb schließlich in völliger Stille dahin. Alep aber spürte den Wind noch immer, der an seinen Fesseln zerrte und dahin brausen wollte, aber er hielt ihn unbeirrbar fest im Griff.
    Da stieß einer der Matrosen einen Schrei aus und zeigte wild gestikulierend in den Himmel hinauf. Alep folgte dem ausgestreckten Finger, aber da war nichts. Hinterher wusste der Matrose nicht mehr zu sagen, was ihn derart aus der Fassung gebracht hatte und sein von ständigem Schulterzucken begleitetes: „Ein Vogel, ich glaube, es war ein großer Vogel“, brachte nur wenig Licht in die Angelegenheit.
    Alep aber verlor im selben Augenblick die Gewalt über den Wind und enfesselte eine Urgewalt. Mit einem ohrenbetäubenden Knall fuhr der befreite Wind in die Segel und blähte sie auf, dass die Masten knarrten und krachten und das Schiff einen Satz nach vorn machte. Ein Reißen ging durch den Schiffsrumpf und der Bug senkte sich immer tiefer ins Wasser als wollte es sich geradewegs in den Grund des Sees bohren.
    Magier! Haltet den Sturm auf oder wir sind verloren.
    Alep kämpfte verbissen, rang mit dem wütenden Wind um die Vorherrschaft und gerade, als er glaubte, dass seine Kräfte ihn verließen, spürte er, dass er die Kontrolle zurückerlangte. Er verlangsamte den Sturm auf ein erträgliches Maß und gab ihn schließlich wieder frei, als er seine vormalige Stärke erreicht hatte.
    Der Schaden am Schiff war glücklicherweise nur gering. Der erste Maat eilte aufgeregt durchs Schiff, um den Rumpf zu überprüfen. Bald darauf machte er seinem Kapitän Meldung. „Alles in Ordnung. Der Kiel ist heil. Kein Wasser dringt ein.“
    Magier, ich sagte Feuer, nicht Wind!
    Du bist derjenige von uns beiden, der für Feuer zuständig ist. Meine Talente liegen woanders.
    Das konnte Wigget nicht bestreiten, aber es war unverantwortlich von seinem Schützling, seine Ratschläge einfach zu ignorieren. Dieser Mensch wusste so wenig und ihm blieb nur noch so wenig Zeit.
    Alep aber beschäftigte noch immer die ungeahnte Macht, die ihm für einen kurzen Augenblick zur Verfügung gestanden hatte. Er fühlte sich, als hätte er seine Fähigkeiten erst in diesem Moment entdeckt.
    Die Besatzung war an ihre Plätze zurückgekehrt, N’Gucha war unter Deck verschwunden.
    Alep beugte sich über die Reling. Er betrachtete den See, dessen Wasser am Rumpf des Schiffes vorbeiglitt und ehe er es bemerkte, war er eingetaucht in das gleichmäßige Dahintreiben der rollenden Wellen.
    Nun war er Wasser, weich und nachgiebig, doch auch unerbittlich und erbarmungslos. Sein Reich war groß. Alles, was einmal in seinen Besitz geriet, von ihm bedeckt und eingenommen worden war, war für alle Zeiten sein. Er gab nichts zurück, höhlte das Land mit beständiger Gleichmut, bis nichts mehr blieb als Hoffnungslosigkeit. Doch seine Geschenke an das Leben waren groß, einzigartig und fürwahr königlich. Er spendete Zukunft mit jedem Tropfen den er gab. Und er gab im Übermaß. Er war mächtig, mächtiger als das Feuer und die Luft und nicht weniger bedeutend als die Erde, die er bedeckte.
    Alep bewegte das Wasser. Er türmte es zu hohen Wogen auf, bis riesige Wellen entstanden, die krachend gegen den Schiffsrumpf schlugen. Der Kapitän sprang zum Steuerruder, aber er kam zu spät. Der Steuermann wurde von der Kraft des wild drehenden Rades weggeschleudert. Das Schiff neigte sich gefährlich weit auf eine Seite, wurde von einer neuen Welle erfasst und zurückgeworfen. Jeder an Deck suchte Halt. Ein unvorsichtiger Matrose wurde über Bord geschleudert.
    Wigget war schon bei den ersten Anzeichen der nahenden Gefahr aufgeflogen. Nun schoss er wie ein Pfeil auf den regungslos über der Reling hängenden Alep zu, stoppte im Fluge und schlug Alep seinen langen Schwanz klatschend ins Gesicht. „Aufhören! Sofort aufhören! Ihr bringt uns alle um!“
    Alep war noch immer Wasser, als er Wiggets Schlag spürte. Nur allmählich kehrte er in seinen Körper zurück und versuchte zu verstehen, was der Drache von ihm wollte. Aufhören? Womit? Er öffnete die Augen und begriff mit einem schnellen Blick, was er angerichtet hatte.
    Langsam, Magier, beruhigt das Wasser des Sees und gebt es dann langsam wieder frei.
    Alep befolgte den Rat des Drachen und die Wellen fielen in sich zusammen. Aus der Ferne drangen Hilferufe zu ihnen herüber. Der Kapitän wendete geistesgegenwärtig das Schiff und segelte das kleine Stück zurück. Ein Matrose wurde an Bord gehoben, der sich spuckend und fluchend

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