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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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Ländereien in Yorkshire, Lancaster, Westmoreland und Cumberland, die er von seiner Urgroßmutter geerbt hatte, zurückerstattet worden.
    Was Enguerrand für seine Braut empfand, ist unbekannt. Da sein französischer Herrscher und sein zukünftiger Schwiegervater aber nun Frieden geschlossen hatten, bestand für ihn kein Loyalitätskonflikt
mehr. Die Kameradschaft des Rittertums verband den Adel immer noch über die Grenzen hinweg und wurde sofort wiederbelebt, wenn die zeitweise Feindschaft im Krieg beendet war. Die materiellen Vorteile der Heirat waren offensichtlich. Enguerrand würde aus seiner Gefangenschaft entlassen und Geld und Einfluß dazugewinnen. Wie er aber über seine zukünftige Frau dachte, die nicht ohne weiteres in das Bild einer jungfräulichen Demoiselle und ergebenen Ehefrau paßte, war eine andere Frage.
    Isabellas Leben einer unabhängigen Frau an einem Hof von der damaligen amourösen Freizügigkeit kann kaum behütet oder unschuldig genannt werden. Die Damen des Hofes waren nicht sonderlich zurückhaltend. Johanna, die verwitwete Gräfin von Holland, die 1361 der Schwarze Prinz heiratete, wurde als die »schönste Lady im ganzen Königreich von England« angesehen und auch als »die amouröseste«. Sie trug gewagte und extravagante Kleider, die denen der »Räuberliebchen des Languedoc« nachempfunden waren. Auf Turnieren tauchten zur Empörung des Volkes häufig Gruppen fragwürdiger Damen auf, »die nicht die besten, aber die hübschesten und teuersten des Reiches« waren und sich »in ausgesuchte, wunderbare männliche Kostüme« kleideten, »als seien sie Teil des Rittergefolges«. Sie trugen die geteilten, zweifarbigen Blusen der Ritter, ritten edle Pferde und stellten sich in einer »skurrilen Lüsternheit« zur Schau, »die weder Gott fürchtete noch vor der Verachtung der Menge errötete«. [Ref 168]
    Merkwürdigerweise wurde kaum eine weibliche Verfehlung strenger verurteilt als das Zupfen der Augenbrauen und des Haaransatzes, um die Stirn zu erhöhen. Aus irgendeinem Grunde wurde diese Gewohnheit als besonders unmoralisch verurteilt, vielleicht, weil sie eine Korrektur der göttlichen Schöpfung war. Man glaubte, daß diese Unsitte im Fegefeuer von Dämonen »mit glühenden Ahlen und Nadeln« bestraft würde, die jene in jedes Loch stießen, aus dem ein Haar gerissen worden war.
    Wie Jean de Meung es satirisch durch den Mund der Duenna im Rosenroman ausgedrückt hat, waren die Sorgen einer Dame des 13. und 14. Jahrhunderts nicht unbedingt Sorgen, die es nur im Mittelalter gab. Wenn ihr Rücken und ihr Busen ansehnlich waren, sollte sie ein Dekolleté tragen, riet die Duenna; um ihrem Gesicht
Farbe zu geben, sollte sie Schminke benutzen, aber nur heimlich, damit ihr Liebhaber nichts davon bemerke; wenn sie feststellte, daß sie einen schlechten Atem hatte, sollte sie nicht zu dicht an andere herantreten, während sie sprach; sie sollte hübsch lächeln und graziös weinen; zierlich essen und trinken und darauf achten, sich nicht zu betrinken oder bei Tisch einzuschlafen. In die Kirche, zu Hochzeiten und zu Gesellschaften sollte sie nur in ihren besten Kleidern gehen, um sich sehen zu lassen und bekannt zu werden, dabei sollte sie ihr Kleid leicht anheben, um ihre zierlichen Füße zu zeigen, und ihren Mantel wie einen Pfauenschwanz öffnen, um die schönen Formen darunter zu enthüllen. Sie sollte ihre Netze nach allen Männern auswerfen, um zumindest einen zu fangen, und wenn sie mehrere gewönne, sollte sie darauf achten, daß sie sich nicht träfen. Sie sollte niemals einen armen Mann lieben, weil sie von ihm nichts bekommen konnte und vielleicht sogar in Versuchung geriete, ihm etwas zu geben. Sie sollte auch keinen Fremden lieben, da er ein untreues Vagabundenherz haben könnte, es sei denn, er böte ihr Geld oder Juwelen an. Sie sollte immer vorgeben, daß nur die Liebe ihr Herz regiere, aber zugleich alle Geschenke annehmen und ihn zu weiteren an ihre Diener, Mädchen, Schwestern oder Mutter animieren, denn viele Hände können mehr Beute sammeln.
    Sicher hat der Autor die Rolle des Geldes übertrieben, aber Satire ist die übertreibende Darbietung eines wahren Kerns. In Isabellas Fall war Geld sicher von erheblicher Bedeutung. Man sagte ihr nach, daß sie fortwährend zwei oder drei Goldschmiede, sieben oder acht Stickerinnen, zwei oder drei Messerschmiede und zwei oder drei Kürschner allein für ihre Bedürfnisse beschäftigte. Wenn Isabella bis zum Alter von 33 Jahren

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