Der ferne Spiegel
Waffen ursprünglich von Hugues Aubriot für den Kampf gegen die Engländer hergestellt worden. Sie gaben nun den Aufständischen den Namen: die Maillotins.
So bewaffnet, verbreiteten sie besonderen Schrecken. Während
sie mit einem wüsten Beutezug durch das ganze rechte Seineufer beschäftigt waren, luden die Adligen, Prälaten und Beamten in aller Eile ihre wertvollsten Güter auf Pferdewagen und flohen nach Vincennes. Zu spät schlossen die Maillotins die Tore, legten Ketten über die Straßen und stellten Wachen auf, um den Exodus der Reichen zu verhindern. Sie machten vorrangig Jagd auf alle, die irgendwie mit Steuern zu tun hatten, drangen sogar in Kirchen ein, um Notare, Juristen und Steuereintreiber aus dem Asyl wegzuschleppen, einen rissen sie vom Altar von St. Jacques, wo er sich in seinem Schrecken an eine Statue der Heiligen Jungfrau geklammert hatte, und schnitten ihm die Kehle durch. Überall wurden Dokumente verbrannt, und das jüdische Viertel war wie immer ein bevorzugtes Opfer von Plünderungen. »Konvertier oder wir töten dich!« befahlen sie einer jüdischen Frau. »Sie sagte, sie wolle lieber sterben«, berichtete ein Augenzeuge, »also erschlugen sie sie und raubten sie aus.« Die Juden suchten wieder Schutz im Châtelet, aber dieses Mal wurden sie von der Wache zurückgewiesen, die die Vergeltung der Maillotins fürchtete. Von den rund dreißig Personen, die am ersten Tag der Unruhen umgebracht wurden, war die Hälfte Juden.
Die bürgerliche Oberschicht verfolgte zwei Ziele: Sie wollte die Aufständischen unter Kontrolle halten und zugleich den Aufstand nutzen, um der Krone Konzessionen abzuringen. Sie mobilisierte hastig eine Miliz, um sowohl den Rebellen als auch einer bewaffneten Intervention des Königs Widerstand zu leisten. Abteilungen wurden an den wichtigen Kreuzungen stationiert und Kundschafter auf die Kirchtürme gesetzt, um Truppenbewegungen frühzeitig melden zu können. »Sie waren bald so stark«, schrieb Buonaccorso Pitti, [Ref 295] ein florentinischer Bankier in Paris, »daß die Maillotins ihnen gehorchten.« Auf diese Weise waren die Bürger in der Lage, die bewaffneten Rebellen für ihren eigenen Kampf gegen die Krone einzusetzen.
Die schnelle zeitliche Aufeinanderfolge der Unruhen in der Provinz und Paris vertiefte noch den historisch wahrscheinlich unbegründeten Verdacht der Herrschenden, daß die Aufstände durch eine weitverbreitete Konspiration gesteuert wurden. Der Hof entschied, zu verhandeln. Enguerrand de Coucy, bekannt für sein Geschick
und seine Überredungsgabe, wurde mit dem Herzog von Burgund und dem Kanzler zur Porte St. Antoine entsandt, um die Forderungen der Aufständischen anzuhören. Jean de Marès trat als Vermittler auf. Die Pariser bestanden auf einer Aufhebung aller Steuern, die seit der Krönung erlassen worden waren, sowie einer Amnestie für alle Beteiligten und der Entlassung von vier Bürgern, die aufgrund ihres Protestes gegen die Steuer des Herzogs von Anjou verhaftet worden waren. Die königlichen Unterhändler gestanden als Geste des guten Willens die Freilassung der vier Bürger sofort zu – mit widersprüchlichem Ergebnis. Ohne das Weitere abzuwarten, stürmte der Mob das Châtelet und die anderen Gefängnisse, öffnete alle Kerker und Zellen und brachte Gefangene ans Tageslicht, die so abgemagert oder gebrochen waren, daß sie in das Krankenhaus Hôtel Dieu getragen werden mußten. Alle Akten über Gerichtsverfahren und Urteile gingen auf großen Freudenfeuern in Flammen auf. [Ref 296]
Die Bürger hatten es eilig, zu einer Lösung zu kommen, denn sie fürchteten, daß »die heiße Unbesonnenheit der untersten Leute zur Zerstörung der Männer von Substanz werden könnte«. Bereit, jedes Mittel einzusetzen, um in Paris die Ordnung wiederherzustellen, stimmte die Krone allen Forderungen zu, außer der Amnestie für jene, die in das Châtelet eingedrungen waren. Aber die Absicht hinter dieser Nachgiebigkeit war nicht weniger betrügerisch als das Auftreten Richards II. gegenüber den englischen Bauern. Als sie die königlichen Briefe zur Bestätigung der Übereinkommen erhielten, bemerkten die bürgerlichen Führer sofort, daß die Ausdrucksweise, mit der die Amnestie gewährt wurde, doppeldeutig war. Überdies war das Dokument nicht aus Seide und mit grünem Wachs versiegelt, sondern aus Pergament und mit rotem Wachs, was geringeren Rang und Widerrufbarkeit andeutete.
Trotz des Zorns des Volkes über diese Manöver wurde der Hof
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