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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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übergeben, der ihn zu Bauzwecken in seiner Domäne benutzte. Auf der anderen Seite des Kanals feierten die Engländer.
    Daß Berry »nicht den Wunsch hatte, nach England zu gehen«, und daß ihm auch nicht daran gelegen war, daß die Expedition überhaupt stattfand, wurde schon damals erkannt. Das Bedürfnis nach einem Verhandlungsfrieden wuchs auf beiden Seiten, wenn auch in jedem der beiden Länder nur in Opposition zu einer Kriegspartei. Besonders der Stand der Kaufleute wünschte, den »zwecklosen Krieg« [Ref 330] zu beenden, und viele, die sahen, daß er zu nichts führte, sprachen für den Frieden als einen Schritt zur Überwindung des Schismas und zur Vereinigung der beiden großen christlichen Könige gegen die Türken. Ob Berry nun in diesen Begriffen dachte oder nicht, er war sicherlich besorgt darüber, wieviel Geld der Krieg verschlang, und er stand in Verbindung mit dem Herzog von Lancaster, der selbst den Frieden zwischen England und Frankreich wünschte, um freie Hand für die Eroberung des Throns von Kastilien zu haben. Unter dem Vorwand von Friedensverhandlungen hatten sich Berry und Lancaster früher in diesem Jahr getroffen, und beide schienen mit dem Ergebnis zufrieden zu sein, denn ein Jahr später verhandelte Berry, inzwischen verwitwet, um die Hand von Lancasters Tochter, woraus indessen nichts wurde.
    Philipp der Kühne hätte auch ohne ihn den Ärmelkanal überqueren können – auch auf die Gefahr hin, das Königreich unter der Kontrolle seines Bruders zu lassen –, wenn seine Entschlossenheit dem kühnen Motto entsprochen hätte, das an den Masten seiner Schiffe wehte. Aber er fürchtete eine Erhebung in Flandern, wenn er das Land verließ. Die Banner, die verkündeten: »Ich warte nicht«, wurden eingeholt, und er wartete doch. Zur selben Zeit
entwickelte auch der königliche Rat wachsende Zweifel an den militärischen Chancen des Unternehmens. Lange vor den Omen der brandstiftenden Krähen und der baumentwurzelnden Unwetter erwähnte ein Bericht aus Avignon »die große Debatte darüber, ob der König die Invasion unternehmen wird oder nicht«.
    Der wirklich entscheidende Faktor war wahrscheinlich die Unentschlossenheit angesichts der Wasser des Kanals. Der Ärmelkanal war auch bei bestem Wetter ein unzuverlässiges, tückisches Gewässer und am schwierigsten gegen »den schrecklichen Westwind« der späteren Jahreszeit. Und alles überschattete das Fehlen eines sicheren Brückenkopfes am anderen Ufer. Angesichts dieses Risikos sind potentielle Invasoren, nachdem sie ebenso grandiose Vorbereitungen wie die von 1386 ins Werk gesetzt hatten, zurückgeschreckt – Napoleon ist ein Beispiel, Hitler ein zweites. Den ganzen Krieg hindurch besaßen die Engländer verbündete Brückenköpfe in Flandern, in der Normandie oder der Bretagne. Sie hatten überdies ihre Häfen Calais und Bordeaux. Ohne diesen Vorteil hatten die Franzosen nie mehr als Strafexpeditionen ohne den Versuch, Land zu erobern und zu halten, unternommen. In beiden Richtungen ist zwischen 1066 und 1944 niemals eine erfolgreiche Invasion gegen eine feindliche Küste durchgeführt worden. [Ref 331]
    Wenn Furcht ein Grund war, so wurde er nicht anerkannt. Die Invasion galt als verschoben, im nächsten Jahr sollte sie mit geringerem Aufwand unter dem Kommando des Constable und Coucys unternommen werden. Karl VI. stattete Coucy-le-Château im März 1387 einen förmlichen Besuch ab, teils um Zukunftspläne zu besprechen, wie ein überliefertes Dokument belegt, das sich auf die »Armee« bezieht, die der Sire de Coucy übernehmen wird, um »nach England zu gehen«. Zweifellos galt der Besuch aber auch dem Interesse der Krone an Coucys Ländereien. Dieses Mal feierte kein Hofpoet die Angelegenheit, aber ein geringfügiges Verbrechen, das im Laufe des Besuchs begangen wurde, rief eines der königlichen Begnadigungsschreiben hervor, die wie Fenster einen Ausblick auf das Leben der Armen geben.
    Ein gewisser Baudet Lefèvre, »ein armer Mann mit vielen Kindern«, stahl aus dem Schloß zwei zinnerne große Teller, die während der Mahlzeiten des Königs in Gebrauch waren, versteckte sie
unter seinem Kittel und ging in ein Gasthaus in der Stadt, wo er von einem Sergeanten »Unseres lieben und geliebten Vetters, des Sire de Coucy«, gesehen wurde, der ihn fragte: »Was tust du hier?« Darauf antwortete Baudet: »Ich wärme mich auf.« Noch während sie sprachen, erblickte der Sergeant die großen Teller und nahm ihn fest. Er wurde in das

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