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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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Gefängnis der Burg geworfen, wo man an ihm auch noch einen versilberten Teller mit dem königlichen Zeichen fand. »Im Kerker wäre er wahrscheinlich gestorben, wenn er nicht demütig um Unsere Begnadigung und Vergebung gebeten hätte, und da besagter Baudet immer ein Mann von gutem Lebenslauf und ehrlicher Sprache gewesen ist und ohne andere Missetaten, gestehen Wir ihm gerne Gnade und Vergebung zu« und sprechen den Bittsteller nun und für alle Zukunft durch »Unsere besondere Gnade und königliche Autorität« von allen Verstößen, Bußen, allen zivilen und strafrechtlichen Strafen, die er auf sich gezogen hat, frei und setzen ihn und seine gute Frau in den Besitz ihrer Habe zurück und lassen dies alle Beamten des Gerichts in dieser Region und ihre Stellvertreter und Nachfolger nun und in der Zukunft wissen.
    Daß all dies im Namen des Königs für den Diebstahl von drei Tellern – und das Wort Diebstahl fällt noch nicht einmal in dem Dokument – erforderlich war, deutet über die bloße Weitschweifigkeit hinaus auf die Sorgfalt, mit der der König als Beschützer der Armen dargestellt wurde.
     
    Im Mai, zwei Monate nach dem Besuch des Königs, wohnte Coucy einem Treffen des königlichen Rates mit Admiral de Vienne, Guy de la Tremoille, der Burgund repräsentierte, Jean le Mercier, dem Minister des Königs, und anderen bei, um eine erneute Invasion Englands zu beraten. Dem Mönch von St. Denis zufolge hätte der »schändliche« Rückzug des Königs und seiner Adligen von der Schelde einen schmerzlichen Eindruck auf alle Franzosen gemacht, so daß es als notwendig empfunden wurde, diese Schlappe durch einen mächtigen Schlag gegen England wettzumachen und »dort all die Exzesse eines Feindes gegen einen Feind zu begehen«. Offensichtlich war der Plan der Eroberung auf eine Strafexpedition wie in früheren Jahren reduziert worden.

    Die Expedition sollte aus zwei Teilstreitkräften bestehen: Die eine, befehligt vom Constable, sollte von der Bretagne aus segeln, die andere, geführt vom Admiral, Coucy und Graf Waleran de St. Pol, von Harfleur in der Normandie aus. Das Ziel war Dover. Sie planten, sechstausend Reiter, zweitausend Armbrustschützen und sechstausend »andere Kriegsmänner«, ausreichend Vorräte für drei Monate einschließlich Heu und Eicheln für die Pferde und Rüstungen in gutem Zustand hinüberzuschaffen. Die Absichten der Beteiligten waren sicherlich ernst gemeint, denn im Juni wurde ein Schiff des Sire de Coucy bei Soissons auf der Aisne mit Lebensmitteln, Rüstungen, Kochgeschirr, Leinen, Waffen und Zelten beladen, die nach Rouen verschifft werden sollten. Coucy, Vienne und die anderen befanden sich zu dieser Zeit in Harfleur. Küstenüberfälle von Calais aus, die der feurige Sir Harry Percy, »Hotspur« (»Heißsporn«) genannt, anführte, konnten die Vorbereitungen nicht stören, da Percy nach Norden angriff, in die falsche Richtung. Der Tag der Abfahrt war festgesetzt, alle Vorräte verladen, jeder Soldat hatte seinen Sold für fünfzehn Tage im voraus bekommen, und »das Unternehmen war schon so weit fortgeschritten, daß man glaubte, es könne nicht mehr abgebrochen werden«. [Ref 332]
    In ihren Bemühungen, den Feldzug aufzuhalten oder zu stören, fanden die Engländer diesmal ein williges Instrument in dem chronischen Verschwörer und Intriganten Johann von Montfort, dem Herzog der Bretagne. Um festzustellen, wo Montfort in seinem ständigen Bemühen, die Engländer und Franzosen gegeneinander auszuspielen und so ein Gleichgewicht der Mächte zu erhalten, jeweils stand, hätte es der Fähigkeiten eines Hellsehers bedurft. Als sich in beiden Ländern überdies Parteien mit unterschiedlichen politischen Vorstellungen entwickelten, wurden seine Probleme noch komplizierter und seine Abkommen und Geschäfte noch undurchschaubarer. Es ist kein Wunder, daß er angeblich zu Tränenausbrüchen neigte.
    Eine Konstante in seiner Gefühlswelt war der Haß auf seinen bretonischen Landsmann und Untertan Olivier de Clisson, den Constable von Frankreich. Die tiefe Abneigung – die gegenseitig war – hatte allerdings Montfort nicht davon abhalten können, im Jahre 1381 mit Clisson einen Vertrag zu schließen, der vorsah, daß
»Wir [Montfort] angesichts der vollkommenen Liebe und Zuneigung, die Wir für Unseren sehr geliebten Vetter und Vasallen, Messire Olivier, Seigneur de Clisson, Constable von Frankreich, empfinden . . . versprechen, besagtem Seigneur ein guter, wahrer und wohltätiger

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