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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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König entging nur der Sire de Nantouillet, der sich in einen großen mit Wasser gefüllten Weinkühler warf, dem Tod. Der Graf von Joigny verbrannte auf der Stelle, Yvain de Foix und Aimery Poitiers starben nach zwei Tagen quälender Leiden. Huguet de Guisay lebte noch drei Tage in Agonie und verfluchte und beleidigte seine Mittänzer, die toten und die überlebenden, bis zu seiner letzten Stunde. Als sein Sarg durch die Straßen getragen wurde, grüßten ihn die Leute mit dem Ruf: »Belle, Hund!«
    Die grausige Affäre so bald nach dem Wahnsinn des Königs war wie ein Ausrufezeichen hinter der bösen Folge von Ereignissen, die das Jahrhundert gequält hatten. Karls Entrinnen um Haaresbreite verursachte in Paris »große Erregung«, und die Bürger waren voller Zorn über die Leichtfertigkeit, mit der man so beiläufig das Leben
und die Ehre des Königs in Gefahr gebracht hatte. Wäre er gestorben, sagte man, so hätte das Volk die Onkel und den ganzen Hof niedergemacht; »nicht einer von ihnen wäre dem Tod entkommen und auch kein Ritter in Paris«. Von solch gefährlicher Stimmung unter den Bürgern alarmiert – das Echo der Maillotin-Erhebung vor gerade zehn Jahren war deutlich –, brachten die Onkel den König dazu, in einer feierlichen Prozession zur Notre-Dame zu reiten, um die Menschen zu beschwichtigen. Hinter Karl gingen sein Bruder und die Onkel barfuß als Büßer. Als der unfreiwillige Urheber der Affäre hatte besonders Ludwig unter weitverbreiteten Vorwürfen wegen seiner Leichtlebigkeit zu leiden. Als Zeichen seiner Bußfertigkeit ließ er für die Zölestiner eine Kapelle erbauen und stattete sie mit wunderbaren Glasfenstern, einem reichgeschmückten Altar und einer Stiftung für ständige Gebete aus. Er zahlte dafür mit Einkünften, die ihm der König aus Craons beschlagnahmtem Besitz überschrieben hatte, so daß es fraglich war, wessen Seele durch die Gebete Vergebung erlangte. [Ref 389]
     
    Die tödliche Maskerade wurde nach einiger Zeit Bal des Ardents – der Tanz der Brennenden – genannt, aber sie hätte ebenso den Namen Danse Macabre tragen können, der zu dieser Zeit durch einen neuen Typus von Prozessionsspiel eingeführt wurde. Der Name Macabre, dessen Herkunft und Bedeutung ungeklärt ist, erschien in schriftlicher Form zuerst in einem Gedicht von 1376. Es war von Jean le Fèvre, dem Kanzler des Herzogs von Anjou, geschrieben und enthielt die Zeile: »Je fis de Macabré le danse« (Ich tanze den Danse Macabre). Es mag von dem älteren Danse Machabreus , was »von den Makkabäern« bedeutet, hergeleitet sein oder von einem ähnlich klingenden hebräischen Wort für Totengräber (die Totengräber im mittelalterlichen Frankreich waren Juden). Der Tanz entwickelte sich wahrscheinlich unter dem Einfluß der Pest als eine Straßenaufführung, die Predigten über die Gleichheit aller vor dem Tode, dem großen Gleichmacher, illustrierten. In Wandgemälden in der Kirche der Unschuldigen in Paris, die den Tanz darstellen, besteht die Prozession aus fünfzehn Gestalten – es sind Geistliche und Laien, angefangen beim Papst und Kaiser bis hinunter zu Mönch, Bauer und Kind.

    »Tritt heran, sieh dich selbst in uns«, sagen sie in den begleitenden Versen, »tot, nackt, verfault und stinkend. So wirst du sein . . . wenn du lebst, ohne an dieses zu denken, riskierst du die Verdammung . . . Macht, Ehre, Reichtum sind nichtig; in der Stunde des Todes zählen nur die guten Werke . . . Jedermann sollte zumindest einmal am Tag an sein schreckliches Ende denken«, um sich daran zu erinnern, gute Taten zu verrichten und zur Messe zu gehen, wenn er erlöst werden und »den entsetzlichen unendlichen Qualen der Hölle, die unaussprechlich sind«, entgehen will.
    Jede Gestalt hat ihren Spruch: der Constable weiß, daß der Tod auch die Tapfersten niederwirft, sogar Karl den Großen; der Ritter, einst von den Damen geliebt, weiß, daß er nie mehr mit ihnen tanzen wird; der runde Abt, daß »die Fettesten zuerst verrotten«; der Astrologe, daß sein Wissen ihn nicht retten kann; der Bauer, der sein Leben in Schweiß und Arbeit verbracht und den Tod oft herbeigewünscht hat, würde nun, da seine Stunde gekommen ist, viel lieber im Weinberg arbeiten, »sogar in Regen und Wind«. Dieselbe Botschaft wird immer wieder verkündet, daß dies hier du und du und du bist. Die Knochengestalt, die die Prozession anführt, ist nicht der Tod, sondern der Tote. »Du selbst bist es«, sagt die Inschrift unter einem

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