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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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Familienfehde, die das Herrscherhaus auseinandergerissen und alle adligen Familien in ihren Strudel gezogen hatte, zu beenden. Die Auseinandersetzungen drohten, ein Klima der Feindseligkeit zu schaffen, deren Folgen den Durchmarsch auf dem Zug nach Rom hätten blockieren können. Der Streitpunkt, der zwei herzögliche Familien, Mitgiftrechte und natürlich Besitzansprüche berührte, leitete sich aus der Tatsache her, daß der Rote Graf Amadeus VII., der vor kurzem im Alter von einunddreißig Jahren gestorben war, die Vormundschaft für seinen Sohn seiner Mutter überschrieben hatte, einer Schwester des Herzogs von Bourbon,
und nicht seiner Frau, einer Tochter des Herzogs von Berry. Drei Monate dauerte es, bis Coucy und Guy de Tremoille einen Vertrag ausgehandelt hatten, der den aufgeblasenen Streit in Savoyen beendete und die rivalisierenden Gräfinnen »in ein friedliches Einvernehmen mit ihren Untertanen« zurückversetzte.
    Am 28. Januar 1393, vier Tage nachdem Coucy Paris verlassen hatte, gab die Königin eine Maskerade zur Feier der Hochzeit einer von ihr favorisierten Hofdame, die, bereits zweimal verwitwet, nun zum drittenmal heiratete. Die Wiederverheiratung einer Frau war nach gewissen Traditionen immer Anlaß zu Gespött und wurde oft mit großem Poltern, viel Freizügigkeit, mit Verkleidungen, in wildem Durcheinander und bei lauter disharmonischer Musik gefeiert. Obwohl dies ein Brauch war, der »aller Anständigkeit widersprach«, wie der strenge Mönch von St. Denis schreibt, ließ sich König Karl von seinen leichtlebigen Freunden überreden, an einer solchen Scharade teilzunehmen. [Ref 388]
    Sechs junge Männer, darunter der König und Yvain, ein Bastardsohn des Grafen von Foix, verkleideten sich als »wilde Waldbewohner« in Kostümen aus Leinen, die ihnen auf den Leib genäht und in harzigem Wachs oder Pech getränkt wurden, um ein Fell von Hanf zu halten, »so daß sie haarig und zottig von Kopf bis Fuß erschienen«. Gesichtsmasken machten sie unkenntlich. Da sie sich des Risikos im Umgang mit offenem Feuer bewußt waren, verboten sie allen, den Saal während des Tanzes mit einer Fackel zu betreten. Unzweifelhaft war ein Element russischen Rouletts im Spiel, die Herausforderung des Todes, die immer wieder der Nervenkitzel einer hochgeborenen und dekadenten Jugend gewesen ist. Gewisse Verhaltensweisen variieren kaum – auch im Laufe von Jahrhunderten. Ebenso unzweifelhaft steckte ein Element der Grausamkeit darin, als einen der Darsteller einen Mann zu wählen, den nur eine dünne Linie vom Wahnsinn trennte. Der Urheber dieser Affäre, »der grausamste und schamloseste aller Männer«, war ein gewisser Huguet de Guisay, der in königlichen Kreisen wegen seiner ausgefallenen Ideen beliebt war. Er war ein Mann, der »ein böses Leben« führte, der »Jugendliche verdarb und sie zu Ausschweifungen verführte« und alle Gemeinen und Armen haßte und verachtete. Er nannte sie Hunde, und es machte ihm Vergnügen,
sie mit dem Schwert oder dem Stock zum Bellen zu zwingen. Wenn ein Diener ihm mißfiel, pflegte er ihm zu befehlen, sich auf den Bauch zu legen, stand dann auf seinem Rücken und stieß ihm die Sporen in die Seite und rief: »Belle, Hund!«, wenn der Diener vor Schmerz aufschrie.
    In ihrem Tanz der Wilden sprangen die Maskierten vor der festlichen Gesellschaft herum, imitierten das Geheul von Wölfen und machten obszöne Gesten, während die Gäste ihre Identität zu erraten suchten. Karl neckte die fünfzehnjährige Herzogin von Berry, als Ludwig von Orléans und Philipp von Bar, die von einer anderen Vergnügung kamen, den Saal trotz des Verbots mit Fackeln betraten. Ob nun um zu sehen, wer die Tänzer waren, oder in bewußtem Spiel mit dem Feuer – die Berichte über die Episode gehen auseinander – hielt Ludwig seine Fackel über die tanzenden Gestalten. Ein Funke fiel, eine Flamme züngelte am Bein empor, zuerst fing ein Tänzer Feuer, dann waren es zwei. Die Königin, die allein wußte, daß Karl in der Gruppe war, schrie gellend auf und fiel in Ohnmacht. Die Herzogin von Berry, die den König erkannt hatte, warf ihren Rock über ihn, um ihn vor den Funken zu schützen, und rettete ihn auf diese Weise. Der Raum war erfüllt vom Schluchzen und den Entsetzensschreien der Gäste und den Schmerzensschreien der brennenden Männer. Gäste, die versuchten, die Flammen zu ersticken und den Opfern die brennenden Kostüme von den Leibern zu reißen, erlitten schwere Verbrennungen. Neben dem

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