Der ferne Spiegel
hauptsächlich durch das Verbrennen aromatischer Substanzen. Der Führer der Christenheit Papst Klemens VI. wurde auf ungeklärte Art und Weise durch dieses Mittel vor einer Ansteckung bewahrt. Der päpstliche Leibarzt, Guy de Chauliac, ordnete an, daß der Papst auch in der Hitze des sommerlichen Avignon zwischen zwei großen Feuern zu sitzen habe, die in seinen Gemächern entzündet worden waren. Diese Roßkur half zwar, aber zweifellos nur deshalb, weil sie offenbar die Flöhe fernhielt und auch weil der Papst, auf Anraten de Chauliacs, seine Räume nicht verließ. Vielleicht haben die Jagdszenen, Gärten und andere
weltliche Freuden abbildenden Wandmalereien die päpstliche Qual gemildert. Klemens VI. liebte verschwenderischen Glanz und die »sinnlichen Laster«, aber er war auch ein Mann der Wissenschaft, ein Mäzen der Künstler und der Gelehrten, und er regte nun selbst die Sezierung von Pestopfern an, »damit die Ursprünge der Seuche erkannt werden könnten«. Viele Leichenöffnungen wurden sowohl in Avignon als auch in Florenz vorgenommen, wo die städtischen Behörden Prämien für die Freigabe von Leichen für ärztliche Untersuchungen zahlten.
Die ärztlichen Heilmittel reichten in dieser Zeit von erwiesenermaßen wirksamen Arzneien bis hin zu Wundermitteln, ohne daß ein besonderer Unterschied zwischen den beiden gemacht worden wäre. [Ref 96]
Den Ärzten fehlte es nicht an operativer Geschicklichkeit. Sie konnten gebrochene Knochen richten, Zähne ziehen, Blasensteine entfernen, mit einer Silbernadel sogar den grauen Star beseitigen und zerstörte Gesichtshaut durch Transplantation vom Arm ersetzen. Sie hatten Epilepsie und Apoplexie als Gehirnkrämpfe erkannt. Urinproben und Pulsmessung zählten zu den bekannten diagnostischen Verfahren; die Ärzte wußten, welche Substanzen als Abführmittel und welche als harntreibendes Mittel zu verwenden waren, sie verordneten Bruchbänder, eine Mischung aus Öl, Essig und Schwefel gegen Zahnschmerzen und zerstoßene Pfingstrosenwurzeln mit Rosenöl gegen Kopfschmerzen.
Bei Krankheitsbildern, die ihre Kenntnisse überschritten, fielen sie auf das Übernatürliche zurück oder auf komplizierte Mischungen aus alkalischen, pflanzlichen und tierischen Substanzen. Das Widerliche galt ebenso wie das Teure als besonders wirksam. Gegen Bandwürmer wurde die Kopfhaut mit Knabenurin gewaschen, bei Gicht sollte ein Heilpflaster von Ziegenmist mit Rosmarin und Honig helfen. Erleichterung des Patienten war das Ziel – die Heilung blieb Gott überlassen – und psychologische Suggestion die Methode. Um Pockennarben zu verhindern, wurde der Erkrankte in rote Tücher gewickelt und in ein rot verhangenes Bett gelegt. Wenn die Chirurgie keine Hilfe brachte, wurde auf die Hilfe der Heiligen Jungfrau und die Reliquien der Heiligen zurückgegriffen.
Die purpurnen oder roten Gewänder mit den pelzgesäumten
Kapuzen verwiesen auf den hohen Rang der Doktoren. Sie waren von den Aufwandsgesetzen ausgenommen und trugen silbern verzierte Gürtel, kostbare Handschuhe und nach Petrarcas ärgerlichem Bericht auch goldene Sporen, wenn sie, begleitet von einem Diener, den Kranken ihre Visite abstatteten. Auch ihre Frauen durften mit ihren Kleidern einen größeren Aufwand treiben als ihre Geschlechtsgenossinnen, vielleicht mit Rücksicht auf das hohe Einkommen, das ein Arzt erzielen konnte. Nicht alle waren studierte Gelehrte. Boccaccios Arzt Simon war ein Proktologe und ließ einen Nachttopf über seine Türe malen, um sein Spezialgebiet zu kennzeichnen.
Der heilige Rochus, der 1327 gestorben war und von dem man glaubte, daß er mit besonderen Heilkräften ausgestattet sei, gehörte zu den meistbeschworenen Schutzheiligen während der Zeit der Pest. Wie der heilige Franziskus hatte er in jungen Jahren ein reiches Erbe angetreten und es unter die Armen verteilt. Als er von einer Pilgerreise nach Rom zurückkehrte und unterwegs auf eine Epidemie stieß, blieb er dort, um den Erkrankten zu helfen. Nachdem er sich selbst angesteckt hatte, zog er sich in die Wälder zurück und bereitete sich allein auf den Tod vor. Ein Hund brachte ihm jeden Tag sein Brot. »In dieser traurigen Zeit, als die Menschen so hart und die Zeiten so düster waren«, sagt die Legende, »schrieben die Menschen das Mitleid den Tieren zu.« Rochus erholte sich und erschien, in Lumpen gekleidet, wie ein Bettler in der Stadt, wo man ihn für einen Spion hielt und in den Kerker warf. Dort starb er. Aber er hinterließ
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