Der ferne Spiegel
Fabel für Chaucers Erzählung von einem kindlichen Märtyrer, die von der Äbtissin erzählt wird. Aufgrund der Legende vom Bluttrinken wurden unzählige Juden angeklagt, verurteilt und schließlich auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
Unter der eifernden Frömmigkeit Ludwigs des Heiligen, dessen Lebensziel es war, dem Ruhm der christlichen Religion zu dienen, wurde das Leben der Juden in Frankreich mehr und mehr eingeengt. 1240 fand unter seiner Herrschaft der berühmte Prozeß gegen den Talmud wegen Häresie und Blasphemie statt, der, wie von vornherein feststand, mit einem Schuldspruch endete, woraufhin 24 Wagenladungen talmudischer Schriften in Paris verbrannt wurden. [Ref 99]
Im Laufe des Jahrhunderts vervielfachten sich die Dekrete,
durch die die Kirche die Juden von der christlichen Gesellschaft fernzuhalten suchte. Das geläufige Argument dafür war, daß der Kontakt mit Juden zum Unglauben führe. Juden durften keine Christen als Diener anstellen, sie durften Christen nicht ärztlich behandeln, Mischehen waren verboten, sie durften kein Mehl, kein Brot, keinen Wein, kein Öl, keine Schuhe und keine Kleidungsstücke an Christen verkaufen. Den Juden war es nicht erlaubt, Handel zu treiben, Synagogen zu bauen oder Land zu besitzen. Die Gildensatzungen schlossen sie von den Berufen der Weber, Schmiede, Bergleute, Schneider, Schuhmacher, Goldschmiede, Müller und Schreiner aus. Um ihre Sonderstellung zu kennzeichnen, verfügte Innozenz III. 1215, daß sie ein Abzeichen tragen mußten; gewöhnlich war es ein runder Flicken aus gelbem Filz, das, wie man sagte, ein Geldstück darstellte. Manchmal war es auch grün oder rot-weiß und wurde von beiden Geschlechtern vom siebten, manchmal vom vierzehnten Lebensjahr an getragen. In seinem Kampf gegen alle Ketzerei und Irrlehre verordnete das 13. Jahrhundert dasselbe Zeichen Mohammedanern und überführten Ketzern und aufgrund irgendeiner doktrinären Spitzfindigkeit auch Prostituierten. Später wurde die Stigmatisierung durch einen spitzen Hut erweitert, der einem Tierhorn ähnelte und nach Volksmeinung den Teufel darstellen sollte.
Die Vertreibungen und Verfolgungen hatten ein stets gleichbleibendes Moment – die Beschlagnahmung jüdischen Eigentums. Wie der Chronist William von Newburgh [Ref 100] schrieb, war das Massaker von 1190 in York weniger das Werk religiöser Eiferer als eine Tat von entschlossenen und habgierigen Männern, »die dem Geschäft ihrer Besitzgier nachgingen«. Das Motiv bei den durch Städte oder Könige veranlaßten offiziellen Vertreibungen war dasselbe. Wenn die Juden dann langsam in Dörfer, Marktflecken und vor allem die Städte zurückkehrten, fuhren sie fort, ihren Geldverleih und Gelegenheitshandel zu betreiben. Sie arbeiteten als Pfandleiher oder auch als Totengräber und lebten eng zusammen in einem geschlossenen Judenviertel, um sich gegenseitig schützen zu können. In der Provence waren sie mit dem Wissen, das sie von den Arabern übernommen hatten, oft auch Gelehrte und gesuchte Ärzte. Aber die kraftvolle Lebhaftigkeit ihrer früheren Gemeinden
verschwand. In einer unruhigen Zeit lebten sie ständig am Rande der Gewalttätigkeit und der Vertreibung, und ihnen war klar, daß die christliche Kirche jederzeit »zu einem gerechten Krieg« gegen sie als Feinde des Christentums aufrufen konnte.
Im Grauen der Pest war es einfach, der jüdischen Bösartigkeit Brunnenvergiftungen anzulasten. Im Jahre 1348 verbot Papst Klemens VI. in einer Bulle, Juden ohne Gerichtsverfahren zu töten, auszuplündern oder gewaltsam zu bekehren, was die Übergriffe in Avignon und im Kirchenstaat eindämmte, im Norden aber ignoriert wurde. In den meisten Gegenden versuchten die städtischen Behörden zunächst, die Juden zu schützen, aber schließlich mußten sie sich dem Volkswillen beugen, nicht ohne selbst ein Auge auf das jüdische Eigentum geworfen zu haben. [Ref 101]
In Savoyen, wo die ersten offiziellen Prozesse im September 1348 begannen, wurde jüdisches Eigentum schon beschlagnahmt, als die Angeklagten noch im Gefängnis auf das Verfahren warteten. Unter der Folter wurden mit den üblichen mittelalterlichen Verhörmethoden Geständnisse erpreßt, die schließlich das Bild von einer internationalen jüdischen Verschwörung bestätigten, die von Spanien ausging. Aus Toledo sollten geheime Boten Gift in kleinen Paketen und »engen, zugenähten Ledertaschen« überbracht haben. Die Boten hatten angeblich Anweisung von den Rabbinern, das Gift in
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