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Der Fliegenfaenger

Der Fliegenfaenger

Titel: Der Fliegenfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willy Russell
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sie wieder auf seinen Arm zurück. Und so geleitete Norman meine Oma in ihr Zimmer und Twinky und ich folgten. »Aber wenn du mal in mein Alter kommst, Norman«, sagte meine Oma, »dann gibt es kaum noch Gründe, sich vor dem Tod zu fürchten. Es sei denn, ich habe irgendwas falsch verstanden und dort oben gibt es wirklich einen Himmel. Das wäre allerdings ein Grund zum Fürchten.« Sie setzte sich in ihren Sessel und Norman kniete sich neben sie.
    »Meine Güte!«, sagte meine Oma. »Der Himmel! Hier unten ist es schon schlimm genug, mit diesen Luftballons und den fröhlich zwitschernden Pflegerinnen und diesem scheiß Gesinge und den verdammten Waffelkeksen in irgendwelchen Phantasiefarben und ohne jeden Biss! Wer weiß«, sagte meine Oma, »was für eine Hölle das wär, wenn man im Himmel landen würde.«
    Twinky und ich saßen auf dem Bett und nickten.
    Aber Norman saß meiner Großmutter zu Füßen und sah sie jetzt mit einer Art ehrfürchtiger Bewunderung an. Und dann sagte er: »Scheiße, ich glaub, Sie haben Recht, Oma. Das könnte ein total beschissenes Drecksloch sein, dieser verdammte Himmel, wie?«
    Meine Oma starrte Norman an. Ich schaute Twinky an. Aber der hatte vor Verzweiflung über Normans Ausdrucksweise die Augen geschlossen und schüttelte langsam den Kopf. Dann sah ich wieder meine Oma an. Und sie lächelte, strich Norman übers Haar und sagte: »Ja, Norman, so seh ich das auch.«

    Es war ein herrlicher Tag. Der letzte Tag, an dem ich meine Oma richtig gesehen hab. Ich wusste, dass Twinky und Norman meine Oma genauso toll fanden wie ich. Twinky fragte meine Oma, ob er sie frisieren dürfe. Und meine Oma sagte, ja, solange er sich eine gewisse Zurückhaltung auferlege. Er dürfe ihr die Haare nicht zu straff zurückkämmen, ihr keine Schmachtlocken drehen und nicht irgendwas Fremdes aus ihr machen. Twinky sagte, er denke ja gar nicht dran, ihr Haar zurückzukämmen, weil es so schön füllig und natürlich sei, genau wie das von Katharine Hepburn. Und meine Oma freute sich, weil sie immer zu sagen pflegte, Katie Hepburn sei der einzige Filmstar, den sie je bewundert habe, da sie mit dem gebührenden Ernst auftrete und einigermaßen intelligent aussehe.
    Wir saßen also in ihrem Zimmer und mampften Garibaldis, während Twinky meiner Oma eine intelligent wirkende Frisur verpasste und meine Oma uns alles Mögliche über Gott und die Welt erzählte. Und kurz bevor wir gingen, erzählte sie uns dann noch etwas von Giuseppe Garibaldi.
    Twinky sagte: »Da weiß ich überhaupt nichts drüber, Oma.«
    Und Norman sagte: »Scheiße, ich hab gedacht, so heißen bloß die Kekse, Oma!«
    Und so erzählte uns meine Oma von Giuseppe Garibaldi und dass er die Straße von Messina durchqueren musste, bevor Italien zur Einigung geführt werden konnte. Doch Garibaldi hatte nur ein leckes Schiff, ein paar zerlumpte Freiwillige, kaum Waffen und für seine Männer nur ein paar Salamibrote.
    »Und deshalb«, erzählte meine Oma, »hat keiner geglaubt, dass er es jemals schaffen würde. Keiner gab ihm die geringste Chance. Aber wisst ihr, was niemand bemerkte oder zumindest erst, als es zu spät war? Dass Giuseppe Garibaldi und seine Männer etwas in sich trugen, was die fehlende Salami und den Mangel an brauchbaren Waffen mehr als wettmachte. Sie waren sich einig, sie hatten ein Ziel; und sie hatten eine Liebe für einander.«
    Meine Oma nickte uns zu. »Daran solltet ihr immer denken, Jungs«, sagte sie. »Die Liebe für den andern zu pflegen. Und wenn ihr daran festhaltet, Kinder, wenn ihr euch immer umeinander kümmert und aufeinander aufpasst, dann werdet ihr auch immer einen Weg finden, die Straße von Messina zu durchqueren.«
    Und bevor wir an diesem Abend gingen, versprachen wir meiner Oma, immer zusammenzuhalten und aufeinander aufzupassen. Und ich weiß, dass wir in diesem Moment auch alle drei daran glaubten. An jenem Abend zweifelten wir keine Sekunde, dass wir, wenn es sein musste, alle drei gemeinsam die Straße von Messina durchqueren würden.
    An jenem Abend war ich richtig glücklich. Ich konnte mein Glück kaum fassen – eine Oma wie meine zu haben und Freunde wie Twinky und Norman. Aber ich hätte es wissen müssen! Ich hätte wissen müssen, wie gefährlich es ist, so glücklich zu sein.

    Es war Chantelle Smith, die mir den Brief übergab, kurz vor der letzten Stunde am Dienstagnachmittag. Es war ein beschissener Tag gewesen, weil ich Twinky und Norman nicht gesehen hatte. Sie waren nicht in die

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