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Der Flirt

Titel: Der Flirt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen Tessaro
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Mittagessen. Er wollte seine Antwort auf die Annonce in der Stage unbedingt noch an diesem Vormittag einwerfen, und mit seiner Mutter traf er sich an jedem ersten Mittwoch im Monat in einem kleinen Hotel in Victoria namens The Goring zum Mittagessen. Dort erinnerte man sich noch gut an Rowena Venables-Smythe und behandelte sie wie eine Millionärswitwe. Sie würden sich an einem riesigen Braten gütlich tun und streiten und tratschen, seine Mutter würde versuchen, ihm irgendeine Art von Beschäftigung aufzuschwatzen, Hughie würde ihr um den Bart gehen und mit dem Bargeld, das sie in ihrer Brieftasche hatte, davonspazieren. Das Essen war für Hughie stets einer der Höhepunkte des Monats, und in der Nacht vorher konnte er oft vor Aufregung nicht schlafen: Schottisches Roastbeef mit schaumigem Yorkshirepudding, Berge von knusprigen Kartoffeln, in Bratensaft getunkt, heruntergespült mit etwas, was seine Mutter ausgewählt hatte, um den Sommelier zu beeindrucken. (Die Verabredung zum Mittagessen war so früh am Tag, dass es gut zu bewältigen war. Gegen Abend war sie für Hughies Geschmack oft schon ein wenig zu weinselig.)

    Doch jetzt hatte er gleichzeitig eine Einladung von Leticia. Bei der Vorstellung, dass sie ihre langen, nackten cremeweißen Beine auf dem schwarzen Samt der Chaiselongue ausstreckte, damit er sich daran ergötzte, fiel er vor Lust fast in Ohnmacht.
    Das Dilemma, vor dem Hughie stand, hätte für einen jungen Mann wie ihn nicht schwieriger sein können: eine Einladung zum Essen oder eine heiße Nummer?
    Er kippte eine von Claras Handtaschen aus, fand ein Briefmarkenheftchen und nahm sich eine Marke. Dann zog er sich den Pullover an und war schon zur Tür hinaus − ohne auf Claras Klebezettel mit dem Hinweis, seine Schlüssel nicht zu vergessen, zu achten.
    Eventuell war es sogar möglich, das Beste von beiden Angeboten zu nutzen. Leticias Laden war nur wenige Blocks vom Goring entfernt. Ein wagemutiger junger Mann wie Hughie konnte zur Teezeit durchaus auf ein gutes Mittagessen, eine flotte Runde im Bett und eine kleine Finanzspritze zurückblicken.
    Alles, was dazu erforderlich war, war ein wenig Finesse.
    Hughie warf seinen Brief in einen Briefkasten und winkte ein Taxi herbei. »Hey, Sie nehmen wohl keine Amex, oder?«
    »Verpiss dich«, meinte der Taxifahrer nur und fuhr davon.
    Hughie lief los, um den Bus zu erwischen, und musste dabei durch den Verkehr flitzen, um die Straße rechtzeitig zu überqueren.
    »Einfache Fahrt nach Victoria«, sagte er keuchend zum Fahrer.
    »Zwei Pfund.«
    »Oh.« Hughie fischte einige Münzen aus seinen Taschen. »So viel?«
    Ein alter Mann schob sich an ihm und einer Frau mit einem Kinderwagen vorbei.

    »Was haben wir hier? Siebzig? Dreiundsiebzig, vierundsiebzig …«
    Der Fahrer funkelte ihn finster an. »Haben Sie’s oder haben Sie’s nicht?«
    »Das übernehme ich.«
    Hughie drehte sich um. Es war Malcolm, Claras Verlobter.
    »Sehr nett von dir, Malc.«
    »Ach, da ist doch nichts dabei! Freut mich, wenn ich aushelfen kann!«
    Hughie stieg aufs Oberdeck, und Malcolm kletterte hinter ihm die Stufen hinauf.
    Malcolm hatte so ziemlich die gleiche Größe und Statur wie Hughie, nur saß sein Schwerpunkt im Hintern, der an ihm zog wie eine Unterströmung. (In der Schule war er als »Mädchen-Arsch Gritton« verspottet worden.) Und was seine Gesichtszüge anging, war alles einen Touch zu viel: Seine Lippen waren zu voll und zu rot, seine Nase war zu lang, seine Augen quollen hervor und wurden von rotblonden Wimpern gerahmt, die zu der rötlich blonden Mähne auf seinem Kopf passten. Zu allem Überfluss duftete er beunruhigend nach Veilchen.
    Er warf sich neben Hughie, oder vielmehr fast auf ihn drauf, denn der Sitz war eigentlich zu schmal für zwei erwachsene Männer.
    »Danke, dass du mir die Fahrkarte bezahlt hast.«
    »Da ist doch nichts dabei! Wozu sind Freunde denn da, richtig? Wir sind doch Freunde, du und ich?« Malcolm sah ihn gespannt an und blinzelte.
    Hughie zögerte. So konnte man das nicht sagen. Wenn Malcolm nicht mit seiner Schwester verlobt gewesen wäre, hätte Hughie es vorgezogen, ihm aus dem Weg zu gehen. Doch ein Mann, der eine Pechsträhne hatte, konnte es sich nicht leisten, allzu wählerisch zu sein.

    »Sicher.« Hughie lächelte.
    »Prima! Ganz prima. O Gott, Hughie, ich kann dir gar nicht sagen, wie schwer ich es im Augenblick habe!«
    »Ehrlich?« Hughie schob mühsam ein Fenster auf (das Veilchenwasser duftete an diesem Tag

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