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Der Fluch der Schriftrollen

Der Fluch der Schriftrollen

Titel: Der Fluch der Schriftrollen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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Das Gefühl, beobachtet zu werden, steigerte sich in einem Maße, das an
Wahnsinn grenzte. Alles um ihn her war Finsternis und Kälte und Trostlosigkeit.
Und doch war er sicher, Augen auf sich zu spüren. »Wo?« rief er. »Wo sind sie?«
    Das Mädchen, das zu laut
lachte, um sprechen zu können, deutete hinunter auf die Erde.
    Ben schaute nach unten. Er
stand barfuß auf losem Grund. Als er darauf starrte, schien der Boden sich zu
bewegen. Ein unheimliches Gefühl ergriff Besitz von ihm. Die Erde bewegte und
verschob sich, als ob etwas daraus hervorkommen wollte. »O Gott!« stöhnte er,
und das kalte Grausen packte ihn. Als ob etwas daraus hervorkommen wollte. »O
guter Gott, nicht!« flüsterte er.
    Das Mädchen
war fort. Ben stand allein auf der bebenden Erde. Ihm war, als stünde er am
Rand der Schöpfung, schwankend über einem Abgrund des Vergessens.
    Er wollte nicht hinabsehen.
Er wußte, was er da sehen würde und daß es ihn zu Tode erschrecken würde.
    Mit weitaufgerissenen, fast
aus den Höhlen tretenden Augen starrte er hinunter auf die Erde. Plötzlich
brach sie auf.
    »O Gott!« schrie er und saß
kerzengerade im Bett. Kalter Schweiß bedeckte Bens Körper, und die Bettwäsche
war völlig durchnäßt. Er hatte durch seine Kleider hindurch das
darunterliegende Laken naßgeschwitzt.
    Bens Zähne schlugen
aufeinander. Sein Körper zitterte unkontrollierbar. »O Gott, o Gott«,
wiederholte er immer wieder.
    Das Schlafzimmer war dunkel
und kalt. Die Luft war eisig. Hinter den Vorhängen hörte man einen schweren
Novemberregen gegen die Scheiben trommeln. Im Nu hatte er alle Lichter
angeschaltet und drehte das Thermostat herauf. Mit ruckartigen, ungleichmäßigen
Bewegungen streifte er seine Kleider ab und stürzte unter die heiße Dusche,
wobei er sich die Haut unter dem knallharten Strahl beinahe verbrühte. Er
verzog sein Gesicht, als das Wasser seinen Körper bearbeitete, und versuchte,
die Erinnerung an den Alptraum aus dem Gedächtnis zu vertreiben.
    Dann zog er frische Kleider
an, rieb sich mit dem Handtuch die Haare trocken und ging direkt in die Küche,
um sich einen starken Kaffee zu machen. Im Vorbeigehen drehte er jedes Licht
an. An der Spüle hielt Ben schließlich inne. Es gab kein Entrinnen vor der
Erinnerung, vor dem Bild, das ihn beinahe zu Tode erschreckt hatte. Alles Hin-
und Hergelaufe, alle Beschäftigung, alle Lichter und aller Kaffee würden nicht
verhindern können, daß diese Szene wieder in ihm hochkäme.
    Weil sie nun offen ans
Tageslicht getreten war. Jahrelang war Ben in der Lage gewesen, sie in sein
Unterbewußtsein zurückzudrängen, sie unter dem Alltagstrott zu verbergen. Er
hatte sie über sechzehn Jahre lang vergessen, doch der Alptraum hatte die
Erinnerung in ihm heraufbeschworen, und es gab keine Möglichkeit mehr, davor wegzulaufen.
    Ben verbarg sein Gesicht in
den Händen und schluchzte verzweifelt. Langsam, als näherte sie sich aus einer
großen Entfernung, ließ sich allmählich wieder die Stimme seiner Mutter
vernehmen. Sie sagte: »Benjamin Messer, heute bist du dreizehn Jahre alt. Du
bist nun ein Mann. Es ist deine Pflicht, der Sohn zu sein, den dein Vater sich
wünschte, denn er starb, als er dich beschützte. Ich habe dir nie erzählt, wie
dein Vater umkam, Benjamin. Von heute an solltest du es wissen.«
    Eine Träne rann zwischen Bens
Fingern hindurch, als er so an die Spüle gelehnt dastand und die Szene von vor
zweiundzwanzig Jahren noch einmal durchlebte. Und er empfand dasselbe Leid und
dieselbe Qual wie damals.
    »Benjamin«, sprach Rosa
Messer ernst, »du solltest wissen, daß dein Vater von den Nazis getötet wurde.
Du solltest wissen, daß er starb, während er Zion für die Juden auf der ganzen
Welt verteidigte. Er ging nicht wie ein Lamm in den Tod wie die Juden in
Auschwitz, sondern kämpfend wie ein Streiter Gottes. Ich stand hinter einem
Zaun und beobachtete, wie die Deutschen deinen Vater aus der Baracke holten,
ihn nackt auszogen und ihn zwangen, mit einer Schaufel eine Grube zu graben.
Dann, Benjamin, stießen die Nazis deinen Vater in das Loch und begruben ihn bei
lebendigem Leib.« Ben wußte, daß es lange her war, seit er gegessen hatte, und
doch war ihm jetzt der Gedanke an Essen im höchsten Grad zuwider. Da er
zumindest imstande war, Kaffee zu trinken, verdickte er ihn mit Sahne und
Zucker und stürzte zwei Tassen hinunter, bevor er sich besser zu fühlen begann.
    Der Alptraum hatte eine
unglaubliche Wirkung auf ihn gehabt. Jetzt fiel ihm

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