Der Fluch der Sphinx
Mensch zu vernachlässigen, wenn man Zeuge eines Mordes wird und dann überhaupt nichts unternimmt. Aber Sie glauben, es wird Ihren Kreuzzug gegen den Schwarzmarkt begünstigen, wenn ich nicht zur Polizei gehe?«
»Selbstverständlich. Falls die Behörden von der Sethos-Statue erfahren, bevor ich sie finde, ist jede Chancedahin, mit ihr als Hilfsmittel auf dem Schwarzmarkt Kontakte zu knüpfen.« Yvon beugte sich vor und drückte ihr ermutigend die Hand.
»Werden Sie bei der Suche nach der Statue auch nach den Mördern Abdul Hamdis forschen?« fragte Erica.
»Natürlich«, erwiderte Yvon. »Doch Sie dürfen mich nicht mißverstehen. Mein Hauptanliegen ist die Statue und eine gewisse Kontrolle über den Schwarzmarkt. Ich bin nicht so dumm zu glauben, ich könnte die Moral hier in Ägypten beeinflussen. Aber wenn ich auf die Mörder stoße, werde ich die Behörden verständigen. Beruhigt das Ihr Gewissen?«
»Das genügt«, sagte Erica.
Unmittelbar unter ihnen flammten Lichter auf, erhellten die Zitadelle. Die Festung faszinierte Erica, beschwor Gedanken an die Kreuzzüge herauf.
»Etwas hat mich heute nachmittag stutzig gemacht«, bemerkte Erica. »Sie erwähnten den ›Fluch der Pharaonen‹ Sie glauben doch nicht im Ernst an solchen Unfug.«
Yvon lächelte, ließ jedoch erst den Kellner den arabischen Kaffee servieren, der stark duftete, bevor er antwortete. »Fluch der Pharaonen! Sagen wir mal, ich verwerfe solche Geschichten nicht uneingeschränkt. Die alten Ägypter verwendeten große Mühe darauf, ihre Toten zu bewahren. Sie waren für ihr Interesse am Okkulten bekannt und Experten in allen Arten von Giften. Alors … « Yvon nippte am Kaffee. »Es sind viele Leute, die mit Schätzen aus Pharaonengräbern zu tun hatten, auf rätselhafte Weise gestorben. Daran besteht kein Zweifel.«
»Die Wissenschaft hegt daran viele Zweifel«, entgegnete Erica.
»Gewiß, die Presse hat, wie immer, verschiedene Gerüchte maßlos übertrieben! Aber im Zusammenhang mit Tutanchamuns Grab sind einige höchst merkwürdige Todesfälle eingetreten, angefangen bei Lord Carnarvon selbst. Irgend etwas muß es damit auf sich haben. Was, das weiß ich nicht. Der Grund, warum ich den sogenannten Fluch erwähnt habe, war nur, daß zwei Händler, die für mich, wie Sie sagen würden, gute ›Anhaltspunkte‹ waren, umgekommen sind, kurz bevor ich mich mit ihnen unterhalten konnte. Zufall? Wahrscheinlich.«
Nach dem Kaffee schlenderten sie über den Hügelrücken zu einer verfallenen, gespenstisch schönen Moschee. Sie sprachen unterwegs kein Wort. Schönheit umgab sie und flößte ihnen ehrfürchtige Scheu ein. Yvon bot Erica zur Unterstützung die Hand an, als sie über einige Felsen kletterten, die zwischen den hohen, seit langem ohne Dach stehenden Mauern des einst stolzen Bauwerks lagen. Über ihnen sprenkelte die Milchstraße den mitternachtsblauen Himmel. Für Erica lag der magische Reiz Ägyptens in seiner Vergangenheit, und hier in der Düsterkeit der mittelalterlichen Ruine vermochte sie ihn fast körperlich zu spüren.
Auf dem Rückweg zum Wagen schlang Yvon seinen Arm um sie, aber er plauderte nur sachlich über die Moschee und setzte sie, wie versprochen, kurz vor zweiundzwanzig Uhr vorm Hilton ab. Trotzdem mußte sich Erica eingestehen, als sie im Lift hinauffuhr, daß er ihr gut gefiel. Yvon war ein charmanter und teuflisch attraktiver Mann.
Vor ihrem Zimmer angelangt, schob sie den Schlüssel ins Schlüsselloch, öffnete die Tür, knipste das Licht an und warf ihre Tasche auf das Abstellregal im kleinen Flur. Sie drückte die Tür hinter sich zu und schloß zweimal ab. Die Klimaanlage arbeitete mit voller Kraft, und da sie es vorzog, nicht in einem künstlich gekühltenRaum zu schlafen, ging sie zum Schalter in der Nähe des Balkons hinüber, um die Anlage auszuschalten.
Doch auf halbem Wege blieb sie stehen und unterdrückte einen Aufschrei. Im Sessel in der Ecke des Zimmers saß ein Mann. Er schwieg und bewegte sich nicht. Er hatte das Gesicht eines Beduinen, war jedoch akkurat angezogen mit einem europäischen Anzug aus grauer Seide mit weißem Hemd und schwarzer Krawatte. Seine völlige Reglosigkeit und sein durchdringender Blick schienen Erica zu lähmen. Er wirkte wie eine furchteinflößende Bildhauerarbeit aus dunkler Bronze. Obwohl Erica sich daheim schon vielfältig ausgemalt hatte, wie heftig sie sich bei einer möglichen Vergewaltigung wehren würde, tat sie nun gar nichts. Ihre Stimme versagte den
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