Der Fluch der Sphinx
sich sehr bald darin. Immer wieder überraschte es, daß der spröde, kleinliche Carter mit so aufrichtigem Elan geschrieben hatte. Mit jeder Seite steigerte sich die Erregung über die entdeckten Ausgrabungen, und Erica las immer schneller, als hätte sie einen spannenden Krimi vor sich.
Erica betrachtete aufmerksam die hervorragenden Fotos in dem Buch, aufgenommen von Harry Burton. Ihr besonderes Interesse fanden die Abbildungen zweier lebensgroßer, mit Erdpech überzogener Statuen Tutanchamuns, die den versiegelten Zugang zur Grabkammer bewachten. Als sie sie mit den Sethos-Statuen verglich, fiel ihr erstmals auf, daß sie zu den wenigen Personen gehörte, die wußten, daß die zwei Statuen Sethos’ zusammengehörten. Das war wichtig, denn die Wahrscheinlichkeit, zwei solche Statuen zu finden, war sehr gering,wogegen die Möglichkeit, daß an der selben Fundstelle weitere Artefakte zum Vorschein kamen, sehr groß sein dürfte. Plötzlich begriff Erica, daß der Fundort der Sethos-Statuen unter archäologischen Gesichtspunkten ebenso wichtig sein konnte wie die Statuen selbst. Vielleicht war es ein viel vernünftigeres Ziel, statt der Statuen deren Fundstätte ausfindig zu machen? Erica blickte durchs Fenster über die dunstige Weite der Zuckerrohrpflanzungen hinweg und dachte angestrengt nach.
Der beste Weg, um die Herkunft der Standbilder herauszufinden, war vermutlich, als seriöser Antiquitäteneinkäufer des Museums der Schönen Künste aufzutreten. Wenn sie die Leute davon überzeugen konnte, daß sie Höchstpreise in Dollar zu zahlen bereit war, zeigte man ihr vielleicht ein paar wirklich wertvolle Stücke. Wenn noch mehr Sethos-Material auftauchen sollte, gelang es ihr womöglich, die Quelle zu ermitteln. Natürlich gab es dabei viele Wenn und Aber. Doch immerhin war das kein schlechter Plan, vor allem, falls Abdul Hamdis Sohn ihr keine neuen Informationen liefern konnte.
Der Schaffner lief durch den Zug und kündigte Luxor an. Erica war richtig aufgeregt vor Erwartung. Sie wußte, daß für Ägypten Luxor das gleiche bedeutete wie Florenz für Italien: ein Juwel. Vor dem Bahnhof erlebte sie dann eine Überraschung. Die einzigen und letzten Taxis waren Pferdedroschken. Erica lächelte vergnügt; schon jetzt hatte sie Luxor ins Herz geschlossen.
Als sie am Winter Palace Hotel ankam, verstand sie warum es so einfach gewesen war, dort trotz der vielen Touristen ein Zimmer zu erhalten. Man renovierte das Hotel gegenwärtig, und um zu ihrem Zimmer zu gelangen, mußte sie durch einen kahlen Korridor gehen, in dem man Ziegelsteine, Sand und Mörtel angehäuft hatte. Nur wenige Räume waren zur Zeit vergeben. Aberdie Renovierungsarbeiten dämpften Ericas gute Laune keineswegs. Das Hotel gefiel ihr. Es besaß einen eleganten viktorianischen Charme. Gegenüber, auf der anderen Seite des streng formal angelegten Gartens, stand das New Winter Palace Hotel. Im Gegensatz zu ihrem Hotel war das neue Gebäude ein moderner Hochbau ohne Besonderheiten. Sie war mit ihrer Unterkunft sehr zufrieden. Statt einer Klimaanlage besaß Ericas Quartier eine besonders hohe Zimmerdecke, an der sich langsam ein Ventilator mit großen Blättern drehte. Eine riesige gläserne Doppeltür führte auf einen Balkon mit schmiedeeisernem, barock geschwungenem Geländer und einer herrlichen Aussicht auf den Nil.
Eine Dusche fehlte; das gekachelte Bad enthielt eine riesengroße Badewanne aus Porzellan, die Erica sofort bis an den Rand vollaufen ließ.
Sie hatte soeben die Beine in das erfrischende Wasser getaucht, da klingelte das altertümliche Telefon. Im ersten Moment wollte sie nicht an den Apparat gehen. Aber dann überwog ihre Neugier doch. Sie schnappte sich von der Stange ein Badetuch, kehrte zurück ins Zimmer und hob den Hörer ab.
»Willkommen in Luxor, Miss Baron.« Achmed Khazzan war am Apparat.
Für einen kurzen Augenblick erweckte die Stimme im Hörer wieder ihre überwunden geglaubte Furcht. Obwohl sie den Entschluß gefaßt hatte, nach der Sethos-Statue zu forschen, war sie der Meinung gewesen, Gewalt und Gefahr in Kairo zurückgelassen zu haben. Nun hingen ihr erneut die Behörden an den Fersen. Doch immerhin klang Achmeds Stimme recht freundlich.
»Ich hoffe«, fügte er hinzu, »der Aufenthalt macht Ihnen Freude.«
»Ganz sicher«, antwortete Erica. »Ich habe Ihr Büro von meinem Ausflug verständigt.«
»Ja, ich weiß Bescheid. Deshalb rufe ich nämlich an. Ich habe das Hotel gebeten, mir Ihre Ankunft
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