Der Fluch des Verächters - Covenant 01
Brust breitete sich ein Druckgefühl aus, umkrampfte sein Herz. Die hellblauen Augen stießen irgendeine Art von Drohung gegen ihn aus. Beunruhigung plagte ihn. Er wäre am liebsten vor dem Greisengesicht zurückgewichen, um seine VBG durchzuführen, sich zu vergewissern, daß er unversehrt war; aber der ausdruckslose Blick lähmte ihn. »Das wäre zu leicht«, antwortete er schließlich. Seine Antwort traf auf keinen Widerspruch, aber noch immer wuchs seine Unsicherheit. Unter der übermächtigen Willenskraft des Alten verweilte er am Abgrund seiner Zukunft und starrte hinab in die zerklüfteten, begierigen Schlünde der Gefahren, der vervielfältigten groben Greuel, die auf ihn lauerten. Er war sich plötzlich der vielen verschiedenen möglichen Todesarten für einen Lepraleidenden bewußt. Aber dies Panorama trug dazu bei, sein Gleichgewicht wiederherzustellen. Es glich einem Markstein des Vertrauten inmitten einer fantastischen Situation; einem Richtungsschild, das ihn auf vertrauten Boden zurückführte. Er vermochte seiner Furcht den Rücken zu kehren. »Sag mal«, wandte er sich an den Bettler, »kann ich dir irgendwie helfen? Mit Essen? Unterschlupf? Was ich habe, soll dir zur Verfügung stehen.«
Als hätte Covenant irgendein wichtiges Losungswort ausgesprochen, wich die Bedrohung aus den Augen des Alten. »Du hast bereits zuviel getan. Geschenke wie diese gebe ich dem Geber zurück.« Er streckte Covenant seine Bettelschale entgegen. »Nimm den Ring zurück. Bleib getreu! Du brauchst nicht zu straucheln.«
Auch der Befehlston war jetzt aus der Stimme verschwunden. Statt dessen hörte Covenant nun gedämpfte Beifälligkeit heraus. Er zögerte, fragte sich, was dieser alte Mann mit ihm zu tun haben möge. Aber er mußte irgendwie reagieren. Er nahm den Ring und steckte ihn sich wieder an die linke Hand.
»Alle straucheln«, sagte er dann. »Aber ich werde überleben – solange ich's kann.«
Der Alte erschlaffte, als habe er sich in diesem Moment der Bürde einer Prophezeiung oder eines Gebotes entledigt, sie auf Covenants Schultern abgewälzt. Seine Stimme klang nun schwächlich. »So mag es sein.« Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und ging davon. Er stützte sich auf seinen Stab wie ein erschöpfter Prophet, vom Verkünden seiner Visionen entkräftet. Sein Stab pochte mit einem seltsamen Geräusch den Bürgersteig entlang, als sei das Holz härter als der Stein.
Covenant blickte dem ockerfarbenen Gewand, durch das der Wind fuhr, und dem zerzausten Haar nach, bis der Alte hinter einer Ecke verschwand. Dann straffte er sich ruckartig und begann mit der fälligen VBG. Sein Blick verharrte auf dem Ehering. Er hatte den Eindruck, daß der Ring zu locker um den Finger saß, als sei er ihm plötzlich zu groß geworden. Verdammt noch mal , dachte er. Eine Gutschrift ist vorgenommen worden. Ich muß irgend etwas unternehmen, ehe man die Straßen gegen mich absperrt. Für eine Zeitlang blieb er auf dem Fleck stehen und versuchte irgendeinen Weg des Vorgehens zu ersinnen. Gedankenverloren hob er den Blick zu den steinernen Häuptern über den Säulen des Gerichtsgebäudes. Sie besaßen gleichgültige Augen, und ihre Lippen glichen Zuckungen des Abscheus, gemeißelt als fortgesetzte Drohung, unübersehbar und für immer unvollendet. Ihr Anblick gab ihm eine Idee ein. Er schleuderte einen stummen Fluch zu ihnen hinauf und schritt den Bürgersteig entlang. Er hatte sich dazu entschlossen, seine Rechtsanwältin aufzusuchen, um zu verlangen, daß die Frau, die seine Verträge und Geschäftsangelegenheiten regelte, irgendwelche rechtlichen Maßnahmen gegen diese schwarze Mildtätigkeit einleitete, mit der man ihn vom Ort abzusondern beabsichtigte. Diese Zahlungen müssen rückgängig gemacht werden , dachte er. Es ist doch unmöglich, daß jemand ohne meine Zustimmung meine Rechnungen bezahlen darf.
Das Büro der Anwältin befand sich in einem Haus an der Ecke einer Straße, die die Hauptstraße kreuzte; diese Ecke lag auf der anderen Seite der Hauptstraße. Innerhalb einer Minute munteren Ausschreitens gelangte Covenant zur Kreuzung und damit zur einzigen Ampelanlage der Ortschaft. Er fühlte sich zur Eile gedrängt, zum Handeln aus eigenem Entschluß, bevor sein Mißtrauen gegen Anwälte und alle öffentlichen Einrichtungen ihn zur Auffassung verleitete, es sei vergeblich, daß er sich abzappelte. Er mußte sich der Versuchung, die Hauptstraße trotz des Rotlichts zu überqueren, zur Wehr setzen. Es dauerte
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