Der Fluch des Verächters - Covenant 01
hinab zu den grenzenlosen Wurzeln des Berges, mit jeder ungesehenen, ungemessenen Länge näher zu ungeheuren, begraben schlummernden, grimmigen Übelgewalten, dem entsetzlichen Gebein der Erde. Immer weiter zogen sie, als versetze die Dunkelheit, die unverrückbare Nacht sie in äußerstes Staunen. Sie marschierten in unerbittlichem Schweigen, als wären ihre Lippen von unterdrücktem Schluchzen verkrampft. Sie konnten nicht sehen. Dieser Umstand wirkte sich aus wie eine Verkrüpplung. Indem sie sich dem betriebsamen Herzen der Schrathöhlen näherten, ertönte gewisser Lärm lauter, war unterscheidbarer – Schläge auf Ambosse, das Seufzen von Öfen, Keuchen von Spannung. Bisweilen durchquerten sie Schübe heißer, stinkiger Luft, einer unter hohem Druck befindlichen Entlüftung von Totenhausgruben vergleichbar. Und ein neues Geräusch schlich sich ins Bewußtsein der Mitglieder des Aufgebots – der Klang eines bodenlosen Suds. Für geraume Zeit näherten sie sich diesem dunkeldumpfen Brodeln, ohne irgendeinen Hinweis darauf zu entdecken, worum es sich dabei eigentlich handelte. Später kamen sie dann an seinem Ursprung vorüber. Der Pfad führte an der Einmündung zu einer riesigen Höhle vorbei. Ein waberndes orangefarbenes Helligkeitsmeer aus Steinlicht hellte ihre Wände düster auf. Weit drunten befand sich ein See aus geschmolzenem Gestein. Nach der langen Dunkelheit ihres Marsches schmerzte die Helligkeit ihren Augen. Die ätzende Hitze, die aus dem See aufstieg, wallte ihnen entgegen, als versuche sie, die Menschlein aus der Höhe herabzuzerren. Das dunkle Brodeln dröhnte durch die Luft. Große Fontänen aus Magma schossen empor zur Höhlendecke und fielen dann zurück in den See wie zersprungene Türme.
»Die Dämondim in den Tagen Hoch-Lord Loris' entledigten sich hier der mißratenen Ergebnisse ihrer Vermehrungsbemühungen«, hörte Covenant jemanden undeutlich erzählen. »Man sagt, daß der Abscheu der Dämondim – und der Greuelinger, die sie zeugten – wider ihre eigene körperliche Gestalt keine Grenzen kannte. Er verleitete sie zu den Zeugungsversuchen, aus denen sowohl Urböse wie Wegwahrer hervorgingen. Und er brachte sie dazu, alle ihre Schwachen und Mißratenen in solche Schlünde wie diesen hier zu werfen – so sehr grauste es ihnen vor ihrer ungesehenen Augenlosigkeit.«
Mit einem Aufstöhnen drehte Covenant sein Gesicht zur Wand und schleppte sich an der Höhle vorüber in den Gang, der dahinter lag. Als er seine Hände vom Halt nahm, den der Fels ihm bot, zuckten seine Finger neben ihm, als betaste er die Seiten eines Sarges. Prothall beschloß, an dieser Stelle, gleich hinter der von Steinlicht erfüllten Höhle, eine weitere Verschnaufpause einzulegen. Hastig verzehrte das Aufgebot ein kaltes Mahl, trat unmittelbar danach erneut den Weg durch die Dunkelheit an. Von diesem Gang aus bogen sie zweimal ab, erklommen eine ausgedehnte Steigung und gerieten nach einer Weile auf einen Felssims innerhalb einer Verwerfung. Deren Bruch fiel nach links ab. Covenant schritt in geistesabwesendem Zustand aus, schüttelte wiederholt den Schädel, um seine Gedanken zu klären. Urböse schwirrten ihm durch den Kopf wie bildliche Ausdrücke von Selbsthaß, bösen Vorahnungen. War er dazu verdammt, sich selbst sogar in derartigen Kreaturen wiederzusehen? Nein. Er knirschte mit den Zähnen. Im Licht erinnerter Wallungen von Lava begann er zu befürchten, daß er seine Chance bereits verpaßt habe – seine Chance, sich zu opfern ...
Mit der Zeit überkam ihn wieder Müdigkeit. Als Prothall erneut, noch auf dem Sims, eine Marschpause anordnete, überraschte Covenant sich selber damit, so dicht an einem Abgrund beinahe im Stehen einzuschlafen. Aber der Hoch-Lord drängte nun voran aufs Ziel und gewährte der Truppe nur eine kurze Pause. Mit seiner knisternden Fackel führte er das Aufgebot nach kurzer Zeit weiter vorwärts, von einer zur anderen Finsternis. Während die Expedition sich hinzog, begann die Unaufhörlichkeit der allgemeinen Wachsamkeit nachzulassen. Der Mondaufgang rückte heran, und irgendwo voraus traf Seibrich seine Vorbereitungen, um das Aufgebot gebührend zu empfangen. Prothall blieb in Bewegung, als giere er regelrecht nach der letzten Kraftprobe, und führte die Truppe in forschem Schritt das Gesims entlang. Infolgedessen überraschte der einzelne Urböse alle. Er hatte sich in einem schmalen Spalt des Abhangs verborgen. Als Covenant vorbeiging, sprang er heraus und auf ihn los,
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