Der Fluch Von Belheddon Hall: Roman
Joss, die jede Nacht aufstand, um Ned zu stillen und nach Tom zu sehen, wurde immer erschöpfter, und allmählich machte sich ihre große Müdigkeit bemerkbar. Die Arbeit mit dem Buch ging ihr nicht von der Hand. Sie kam mit der Geschichte nicht voran, und Lyn fiel ihr auf die Nerven. Mittlerweile fing Ned oft zu weinen an, wenn sie ihn hochnahm. Sie versuchte dann, ihn zu trösten und zu streicheln, aber als ob er ihre Ermüdung und ihren Kummer spürte, schrie er nur noch lauter. Und jedesmal stand Lyn neben ihr, streckte die Arme nach dem Baby aus, wollte ihn halten und warf ihrer Schwester vorwurfsvolle Blicke zu.
»Siehst du! Wenn ich ihn nehme, hört er auf.« Dann redete sie beschwichtigend auf das Baby ein und warf Joss einen triumphierenden Blick zu.
»Das ist ganz normal, Joss«, beruhigte Simon sie. »Babys schreien oft, wenn ihre Mütter sie hochnehmen, weil sie an die Brust gelegt werden wollen. Sie riechen die Milch. Lyn hat nichts, was Ned will, also schreit er auch nicht.«
Lyn konnte das nicht überzeugen.
Anfang September fand die Hitze endlich ein Ende. Der Regen prasselte wie aus Kübeln auf den Garten herab, und das Dach wurde undicht. Mürrisch gingen Joss und Lyn, mit Eimern und Plastikschüsseln bewaffnet, auf den Speicher, und Tom bekam eine starke Erkältung. Zum hundertsten Mal an diesem
Morgen hatte sie ihm die Nase geputzt, bevor sie ihn zum Spielen schickte, und nun saßen sie alle in der Küche. Joss holte die Post und sah die Briefe kurz durch, doch bei einem verweilte sie etwas länger. Dann warf sie den ganzen Stapel auf den Tisch. »Rechnungen«, sagte sie beiläufig. »Rechnungen, nichts als Rechnungen. «
»Dann mache ich mich wohl besser an die Arbeit.« Luke stand auf und steckte sich den letzten Bissen Toast in den Mund. »Serviert ihr uns um elf Uhr draußen Kaffee? Das wäre schön.« Er sah zu Lyn und dann zu Joss. »Bitte?« flehte er scherzhaft.
Alle lachten. »Wir lassen das Los entscheiden«, sagte Lyn und begann, das Geschirr zusammenzuräumen.
Es war Joss, die später zwei Becher mit dampfendem Kaffee und einen Teller selbstgebackener Kekse hinaustrug, während Lyn die Wäsche sortierte. Joss hatte den Kragen ihres Regenmantels gegen den Wind hochgeschlagen, ging in die Remise und stellte alles auf die Bank inmitten eines Haufens von Bremstrommeln, Bremsschuhen und alten Schraubenschlüsseln.
»Wo ist er, Jimbo?«
»Unter dem Auto.« Jimbo deutete mit dem Daumen auf das Chassis, das in der Mitte des Wagenschuppens aufgebockt war.
»Kaffeepause!« Joss bückte sich, um zu sehen, wie Luke auf dem Rücken lag und am Innenleben des Autos arbeitete.
»Wunderbar.« Seine Stimme klang gedämpft zu ihr hoch. »Danke.« Langsam schob er sich unter dem Wagen hervor. Noch während sein Gesicht, schwarz und lächelnd, unter dem Kotflügel erschien, kippte das Chassis ohne jede Vorwarnung zur Seite. »Luke!« Aufgeschreckt von Joss’ Schrei, eilte Jimbo an ihre Seite.
»Achtung! Die Achsenstützen rutschen weg!« Jimbos Warnruf, als Luke gerade unter dem Auto hervorgekrochen war, ging unter in dem Lärm, mit dem der Wagen auf den Boden krachte.
Mit zitternden Knien stand Luke auf. »Das war knapp!« Er wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn.
»Luke. Du wärst beinahe tot gewesen.« Joss war leichenblaß geworden.
»Stimmt. Ist aber nichts passiert.« Er wandte sich zu Jimbo, der den Wagenheber untersuchte. »Was ist mit ihm?«
Jimbo, das Gesicht aschfahl, schüttelte den Kopf. »Muß einen Tritt abbekommen haben, denk ich.«
»Einen Tritt?« Joss sah von ihm zu ihrem Mann und wieder zurück. »Von mir? War ich das?« Sie war außer sich. »O mein Gott! Ich bin immer so müde, ich weiß gar nicht mehr, was ich tue.
Luke trat zu ihr und nahm sie in den Arm. »Du warst doch gar nicht in der Nähe des Autos, Joss. Außerdem ist es völlig egal, mein Schatz. Nichts ist passiert. Das kommt vor.«
»O Luke.« Ihre Knie hatten zu zittern begonnen. »Das war ich! Luke, beinahe hätte ich dich umgebracht.«
»Da mußt du dich schon mehr anstrengen, um deinen Mann umzubringen, mein Liebes«, beschwichtigte Luke sie grinsend und nahm einen von Lyns Keksen. »Vergiß es. Mir fehlt gar nichts.«
Mittags hatten sich die Regenwolken verzogen, es wurde ein frischer, herrlicher Nachmittag. Laub schwamm auf dem See, und die Seerosenblätter trieben ruhig im Wasser. Luke und Joss beobachteten schweigend einen Reiher, der vom gegenüberliegenden Ufer abhob und
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