Der Fluch von Melaten
die Dinge einbildete.
»Sie ist hier«, flüsterte er.
»Woher wissen Sie das?«
Er zuckte mit den Schultern. »Das spüre ich einfach.«
»Gut. Nehmen wir das so hin. Aber diese Person hat noch keinen Kontakt mit Ihnen auf genommen?«
»Hat sie nicht. Das genau ist mein Problem. Ich will sie sehen, ich will sie locken, ich will...«
»Darf ich es versuchen?«, unterbrach ich ihn.
Er drehte mir mit einer scharfen Bewegung den Kopf zu und fragte zischend: »Sie?«
»Wer sonst?«
»Aber wie...«
»Bitte, lassen Sie mich das machen. Ich weiß schon, was ich tue.«
Meine Worte mussten ihn wohl überzeugt haben, denn er nickte. Gleichzeitig fragte er: »Was soll ich tun?«
»Gar nichts.«
»Hä...«
»Ja, Sie haben richtig gehört. Sie tun nichts. Sie bleiben einfach nur hier stehen.«
»Die Kapelle ist geschlossen und...«
»Wer sagt Ihnen denn, dass ich hineinwill?«
Nach dieser Frage hielt Justus Schmitz den Mund. Er selbst tat nichts mehr und beobachtete mich nur, wie ich mit sehr langsamen Schritten auf die Mauer der verschlossenen Kapelle zuging und dabei mein Kreuz hervorholte.
Das hatte Schmitz wohl mitbekommen, denn er sagte hinter meinem Rücken: »Was haben Sie denn da?«
Ich drehte mich um und hob das Kreuz so an, dass er es sehen konnte. »Ein Kreuz?«, flüsterte er überflüssigerweise. »Glauben Sie denn, dass Sie damit etwas erreichen können?«
»Ich will es zumindest versuchen.«
»Ja, tun Sie das.«
Viel Hoffnung hatte ich persönlich nicht. Das Kreuz hielt ich in der Hand, und ich hatte mich auch schon der Kapelle ziemlich weit genähert, aber eine Reaktion war nicht zu erkennen. Nach wie vor spürte ich keinen Wärmestoß über meine Haut gleiten, und das Metall lag völlig normal in meiner Rechten.
Die Mauer war nicht nur zu sehen, sondern auch zu riechen. Ja, man kann alte Steine riechen, das merkte ich in diesen Momenten wieder, denn sie gaben den typischen Geruch ab. Ein wenig feucht und auch leicht modrig. Zudem hatte sich die Natur in das Material hineingefressen, denn die meisten Steine waren von einer dünnen dunkelgrünen Schicht bedeckt, die sich bis zum Dach hochzog.
Es gab auch Fenster. Allerdings waren die Scheiben dermaßen verdreckt, dass ich keinen Blick in das Innere der Kapelle werfen konnte. Wenn ich hineinwollte, musste ich eine Scheibe zerschlagen oder die Eingangstür mit Gewalt aufbrechen.
Auf beides verzichtete ich zunächst, weil ich herausfinden wollte, ob diese Kapelle etwas mit der Erscheinung zu tun hatte, die Justus Schmitz so malträtierte.
Es war vielleicht für ihn etwas lächerlich und auch nicht nachvollziehbar, aber ich startete den Test mit meinem Kreuz, der mir schon oft genug weitergeholfen und mir dabei ein magisches Phänomen angezeigt hatte.
So konnte es auch hier sein...
Ich blieb in der Nähe des Eingangs und strich mit dem Kreuz über das Gestein hinweg. Dabei führte ich es von links nach rechts und war auch bereit, die Formel zur Aktivierung zu sprechen, aber ich wollte es erst auf dem relativ normalen Weg versuchen.
Keine Wärme...
Trotzdem gab ich nicht auf und ließ das Kreuz weiterhin mit dem Mauerwerk in Kontakt. Ich lauschte dem Kratzen nach, das zwangsläufig entstand, und wartete noch immer darauf, dass sich mein Kreuz »meldete«.
Das passierte auch.
Aber zugleich an zwei verschiedenen Stellen. Zum einen erwischte mich der Wärmestoß an der rechten Hand, zum anderen tobte plötzlich etwas durch meinen Kopf, das ich zwar wahrnahm, aber nicht in ein exaktes Verhältnis bringen konnte.
War es eine Stimme? Oder gleich mehrere Stimmen? Möglicherweise auch Schreie?
Das alles traf bei mir zusammen und sorgte dafür, dass ich zunächst keinen Schritt mehr ging. Ich blieb genau an der Stelle stehen, wo mich die »Nachricht« getroffen hatte.
Das Kreuz und die Mauer hatten noch Kontakt, und auch das schrille Geräusch in meinem Kopf war nicht verstummt, aber ich fand nicht heraus, ob jemand dabei war, der mit mir sprechen wollte, um mir eine Nachricht zu hinterlassen oder ob er sich in seiner Ruhe gestört fühlte und deshalb so wütend reagierte.
Justus Schmitz hatte wohl gemerkt, dass ich mich veränderte. Er rief mit leiser Stimme: »He, was haben Sie, John?«
»Ich bin dran!«
»Ehrlich?«
»Ja.«
Er wollte auf mich zulaufen und meinte es wahrscheinlich auch gut, aber genau diese »Hilfe« konnte ich nicht gebrauchen. »Bleiben Sie stehen, Justus, nicht jetzt!«
Zum Glück kam er meinem Wunsch nach, und so
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