Der Fluch von Melaten
verwandelte sich in ein leichtes Entsetzen, denn sie bekamen mit, dass sich die Wand der Kapelle öffnete, als hätte jemand ein Loch hineingeschnitten, aber das war es nicht. Es war das gleiche Phänomen, wie sie es schon gesehen hatten, und besonders Ernst Wienand war von diesem Bild besonders getroffen.
»Das gibt es doch nicht«, hauchte er...
***
Das Gleiche dachte auch ich, als mir ein Blick in das Innere der Kapelle gestattet wurde. Es gab im Umkreis des Lichts kein Mauerwerk mehr. Die Magie des Kreuzes hatte die Dimensionen verschoben und für Überlappungen gesorgt, und ich sah, wer diese andere Geisterwelt bewachte.
Ich schob auch den Versuch zur Seite, alles mit der Logik erklären zu wollen. Hier erlebte ich ein Phänomen, das ich einfach hinnehmen und zu meinem Vorteil ausnutzen musste.
Ich blickte hinein in eine Welt, die ich nicht vermutet hatte. Es war ein mit Gräbern gefülltes Gelände, auf dem nur recht wenige Bäume standen. Und wenn, dann konnte man sie auf Grund ihrer Höhe als Niederwald bezeichnen. Eine braune trockene Erde. Buschwerk, durch das Nebel in langen Schleiern kroch, die sich auch um die zahlreichen Grabsteine gedreht hatten.
Ein fahler Himmel, ein Mond wie ein Ball, dazwischen Wolkenfetzen, die durch das Licht des Mondes eine ähnliche Farbe bekommen hatten wie der Mittelpunkt dieser unheimlichen und geisterhaften Szene.
Es waren drei Frauen!
Drei bleiche Gestalten, die leicht versetzt beisammenstanden und so wirkten, als hätten sie ihre Körper gegen den Wind gedrückt, denn ihre Haare waren leicht nach hinten geweht.
Da die Gesichter alle die gleiche Blässe zeigten, waren sie für mich schwer zu unterscheiden, und so wurden mir die Unterschiede nur auf Grund der Haarfarbe klar.
Die Person mit den roten Haaren stand vor den beiden anderen. Sie hatte eine stolze Haltung eingenommen, den Kopf etwas erhoben und schaute in eine Ferne hinein, als wollte sie mit ihrem Blick die Dimensionen überwinden. Sie war mit einem langen, weißen Hemd bekleidet, das eng um ihren Oberkörper lag und sich erst jenseits der Hüfte weitete. Die gleiche Kleidung trugen die beiden anderen Frauen, von denen die eine blonde und die andere dunkle Haare besaß. Auch sie hatten ähnliche Haltungen eingenommen, wenn auch nicht ganz so stolz. Sie wirkten eher verhalten und leicht abwartend.
Drei Frauen!
Warum gerade drei?
Ich kannte die Antwort nicht. Wenn überhaupt, hatte ich mit einer gerechnet, weil Justus Schmitz immer nur von einer Frauenstimme berichtet hatte, und jetzt sah ich plötzlich die dreifache Zahl. Das wunderte und beunruhigte mich, denn die Gestalten sahen nicht so aus, als wären sie nur erschienen, um sich zu zeigen. Auf mich machten sie den Eindruck von Wesen, die schon von einem bestimmten Motiv angetrieben wurden. Sie bildeten ein Trio, das sich eine bestimmte Aufgabe vorgenommen hatte. Möglicherweise, um einen Fluch oder eine alte Rache zu erfüllen. Der Fluch von Melaten.
Ob das stimmte, konnte ich nicht sagen, aber die drei Frauen waren keine Täuschung, und der Blick, der mir gestattet wurde, führte hinein in die Vergangenheit. Wieder mal hatte sich mein Kreuz als Türöffner bestätigt und sich über Zeiten hinweggesetzt.
Die Frauen standen auf einem kleinen braunen Erdhügel. Möglicherweise sahen sie deshalb auch so groß aus, und sie hatten auch einen perfekten Überblick.
Ich wusste in den ersten Sekunden noch nicht, wie ich mich weiterhin verhalten sollte. Mir stand möglicherweise das Tor zur Vergangenheit weit offen. In meinem Fall hieß das, dass ich mich in Bewegung setzen und eben in die andere Zeit hineingehen konnte. Aber es bestand auch das Risiko, dass sich das Tor hinter mir schloss und ich mir einen neuen Weg für die Rückkehr suchen musste.
Das war nicht neu für mich. Das hatte ich alles bereits erlebt, aber trotzdem war es immer wieder anders, und ich wusste auch nicht, was diese drei Grazien vorhatten.
Sie standen auf magischem Boden, ich hielt mich ebenfalls dort auf, und mein Begleiter Justus Schmitz hatte den intensiven Kontakt mit einer von ihnen erlebt.
Ich stand noch immer so, dass ich auch in seine Richtung schauen konnte, wenn ich die Augen etwas verdrehte. Im Moment passierte in der anderen Welt und Zeit nichts, und so konnte ich mir erlauben, Justus anzusehen.
Auch er war von dem neuen Bild völlig überrascht worden. Er stand auf der Stelle wie ein Mensch, der sich auf dem Sprung befand, um so schnell wie möglich zu einem
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