Der Fluch von Melaten
konnte ich mich wieder auf dieses wichtige Phänomen konzentrieren, das nicht nachgelassen hatte. Die Macht meines Kreuzes hatte eine Tür geöffnet, und deshalb war es mir gelungen, in eine andere Welt hineinzuhuschen. Als Beweis tobten die Stimmen in meinem Kopf.
Ja, das waren Stimmen. Das war nicht nur eine Stimme. Ich hörte die unterschiedlichsten Schreie und war davon überzeugt, dass Justus Schmitz sie in einer ähnlichen Art und Weise gehört hatte.
Warum Schreie? Warum von mehreren Personen? Bisher hatte er mir nur immer etwas von einer gesagt, aber das konnte einfach nicht mehr stimmen. Es waren mehrere schrille Rufe, die sich in meinem Kopf ausgebreitet hatten.
Ich hatte sie gestört. Ich hatte etwas geöffnet. Ich war ihr Feind, das merkte ich. Und ich wartete auch weiterhin ab, ohne meine Haltung zu verändern, während mich die Schreie wie akustische Wellen erreichten, manchmal sehr laut waren, dann wieder leiser, aber dabei nie verklangen, weil irgendwelche Wesen eben die Macht des Kreuzes zu spüren bekommen hatten.
Sollte ich die Formel rufen?
Nein, ich ließ es bleiben, denn ich sah etwas anderes. Zum Glück hatte ich die Verbindung zu dem Mauerwerk gehalten, und genau an dieser Stelle leuchtete es auf.
Es war ein bleiches, ein silbriges und auch zugleich fahles Licht, das eine Insel schuf, die zunächst nur klein war, sich aber immer mehr vergrößerte.
Ich schaute dem Phänomen stumm zu, während ich von anderer Seite her einen Kommentar erhielt, denn auch Justus Schmitz hatte dieses Phänomen mitbekommen.
»Was ist das? Was ist das für ein Licht?«
»Bleiben Sie ruhig, Justus!«
»Nein, ich...«
»Bitte!«
Ich stellte mich so hin, dass ich mein Profil auf der einen Seite der Kapelle zuwandte und auf der anderen meinem Begleiter Justus Schmitz. So konnte ich durch ein schiefes Schielen im Notfall beide unter Kontrolle halten.
Wichtiger war die Kapelle und natürlich die Botschaft, die von meinem Kreuz ausging. Das Licht nahm jetzt einen immer breiteren Raum ein. Es war schon ein Phänomen, wie es das geschafft hatte. Es blieb auf diese eine Seite beschränkt,-aber es passierte zugleich noch etwas anderes.
Die Magie war so stark, dass sie es schaffte, das Mauerwerk der Kapelle aufzuweichen und dafür zu sorgen, dass die dicke Wand durchsichtig wurde.
Ich schaute hinein.
Justus Schmitz ebenfalls. Ich hörte ihn aufschreien, aber mein Blick galt nur dem, was ich mit den eigenen Augen sah, und das war wirklich ein Phänomen...
***
Ernst Wienand und Kalle Höffgen hatten sich so weit zurückgezogen, dass sie von den beiden Männern in der Nähe der Kapelle nicht entdeckt werden konnten, sie aber von ihrem Platz eine sehr gute Sicht besaßen. Der befand sich hinter dem Stamm einer alten Eiche, die breit genug war, um noch mehr Männer schützen zu können.
Sie hatten alles gesehen. Auch wie vorsichtig die beiden Fremden gekommen waren, als wüssten sie Bescheid.
Ernst stieß seinen neuen Verbündeten an: »Kennst du sie?«
»Nein, du denn?«
»Auch nicht.«
Beide waren zum vertrauten Du übergegangen, denn sie fühlten sich als Schicksalsgenossen, die der Zufall zusammengeführt hatte. Nach dem kurzen Dialog schlief das Gespräch wieder ein. Ernst ging etwas durch den Kopf, das er dann einfach nicht für sich behalten konnte und loswerden musste.
»Mir fällt ein«, flüsterte er, »dass es drei Geistwesen gewesen sind. Es gab da doch die dritte Erscheinung – oder?«
»Meine ich auch.«
»Eine dritte Mutter!« Ernst verbiss sich das Lachen. »Verdammt, das ist ein Hammer.«
»Wenn das stimmt, was du denkst und ich jetzt auch, dann ist einer der beiden der Sohn dieser angeblichen Mutter.«
»Genau.«
»Willkommen im Club!«, flüsterte Kalle.
Ihr flüsternd geführtes Gespräch schlief wieder ein, denn jetzt schauten sie zu, was die Ankömmlinge unternahmen. Der etwas ältere Mann mit den grauen Haaren blieb zurück, während der andere auf die Kapelle zuging und etwas unter seinem Hemd hervorzog, das Ernst und Kalle zuerst nicht erkannten. Wenig später waren beide überrascht, dass es sich um ein Kreuz handelte. Sie waren so nahe dabei, dass sie es erkennen konnten.
»Was will er denn damit?«, flüsterte Kalle Höffgen.
»Werden wir gleich sehen.«
Sie brauchten nicht lange zu warten und verfolgten den Weg des Kreuzes an der Wand entlang. Als plötzlich das silbrige Licht erschien, zuckten beide zusammen, und jeder von ihnen spürte den kalten Schauer. Ihr Staunen
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