Der Fluch von Melaten
ihnen klar zu machen, worum es ging.
Zu Petra Schlomann hatte ich Vertrauen gefasst. Sie stand dicht vor mir, den Blick leicht erhoben, und sie schaute in mein Gesicht. Ich konnte sogar ihre hellen Augen erkennen.
Dann begann ich zu erklären. Es gehörte praktisch zu meinem Job, wichtige Dinge zusammenzufassen und unwichtige wegzulassen. Genau daran hielt ich mich auch jetzt.
Und so erfuhr sie von Beginn an, was ich in dieser recht kurzen Zeit erlebt hatte.
Beide hörten nur zu. Petra Schlomann bewegte sich so gut wie nicht. Nur Maria Wienand schüttelte des Öfteren den Kopf, denn sie konnte nicht glauben, was ich da von mir gab. Manchmal flüsterte sie auch ein »Das gibt es doch nicht« vor sich hin.
Ich ging auf ihre Bemerkung ein und erwiderte: »Leider gibt es das. Anders herum wäre es mir auch lieber gewesen, wie Sie sich vorstellen können.«
Petra Schlomann sagte kein Wort. Sie hatte sich zur Seite gedreht, die linke Faust unter das Kinn gestützt und schaute auf die Kapelle, als wollte sie die drei Frauen durch ihre Blicke noch mal sichtbar werden lassen.
»Ja, nun kennen Sie die Geschichte.«
Die Frau mit den hellblonden Haaren drehte sich um. »Ja, ich kenne die Geschichte jetzt.«
Mich hatten ihre Worte aufmerksam werden lassen, und deshalb fragte ich: »Können Sie denn damit etwas anfangen?«
»Ich weiß es nicht genau.«
»Aber Sie haben einen Verdacht?«
Sie ließ die Hand sinken. »Einen vagen, da bin ich ehrlich, Herr Sinclair.«
»Das ist immerhin etwas.«
Sie lachte. »Bitte, machen Sie sich nicht zu große Hoffnungen. Diese Stadt hat, wie Sie sicherlich wissen, eine interessante Historie, auch außerhalb des Doms, und die Vergangenheit ist an ihr nicht spurlos vorübergegangen. Was mich stutzig macht, ist Folgendes: Sie haben drei Frauen erwähnt.«
»Ja, zugleich geisterhafte Gestalten.«
»Und die Männer, wie auch Ernst Wienand, hörten Stimmen, die sie hier zur Kapelle lockten.«
»Auch das entspricht den Tatsachen.«
»Pardon, aber ich wollte nur sichergehen. Ich möchte Ihnen auch keine falschen Antworten geben.«
Kennen Sie denn welche?«
Sie lächelte schmal. »Ich denke zumindest darüber nach, Herr Sinclair. Wir müssen weit zurück in die Geschichte der Stadt und in die Vorgeschichte des Friedhofs gehen. Sie wissen, an welch einem Platz wir hier stehen?«
»Ja, hier ist früher die Siechenstation gewesen, und hier wurden auch Menschen verbrannt.«
»Genau, Herr Sinclair. Menschen oder Frauen, die man als Hexen ansah. Das war eine schlimme Zeit. Da konnte jeder jeden denunzieren. Aber Ihnen geht es um drei bestimmte Frauen, die hier dem Feuer übergeben wurden. Da, glaube ich, kann ich Ihnen weiterhelfen. Ich habe nur in meinem Gedächtnis kramen müssen. Es gibt Aufzeichnungen, Überlieferungen, leider oft nur in Fragmenten, aber die Geschichte, die Sie angerissen haben, ist schon interessant, denn ich weiß davon, dass an einem düsteren Abend drei Frauen dem Feuer übergeben wurden. Sie hießen Marietta, Sibilla und Hanna.«
»Ja, ja, das ist...«
»Moment, lassen Sie mich ausreden. Es waren Frauen, die einem Beruf nachgingen. Sie waren Hebammen und wurden von den Einwohnern der Stadt nur als Hexenhebammen bezeichnet. Diese Personen bewegten sich auf einem schmalen Grat. Sie wissen sicherlich, dass in früheren Zeiten viele Kinder tot geboren wurden. Und es gab nicht wenige Menschen, die diese Totgeburten den Hebammen in die Schuhe schoben, weil sie angeblich dafür gesorgt hatten und es nur dadurch konnten, weil sie mit dem Satan im Bunde standen. Auch wenn ein Kind noch lebte und krank wurde oder nicht gesund von der Taufe zurückkam oder ein Mann beschuldigte eine Hebamme, bei der Geburt einen Fehler begangen zu haben, waren sofort die Anklagen da, und die Frauen wurden an den Pranger gestellt. Man steckte sie in den Turm, man brachte sie in Verliese, und selbst wenn eine Frau im Wochenbett Fieber bekam, wurde das den Geburtshelferinnen oder Pflegerinnen angelastet. So ist es hier in Köln zu mehr als zwanzig Morden an Hebammen gekommen. Unter anderem befanden sich auch die drei Frauen darunter, deren Geister Sie gesehen haben.«
»Das passierte also hier?«
»Ja. Wie mir bekannt ist«, sie schaute jetzt nach unten und stieß einen kleinen Stein zur Seite, »hat man sie gemeinsam auf einen Scheiterhaufen gestellt. Man zündete ihn an, man wollte sie verbrennen, und sie sind auch verbrannt, aber, da muss man den alten Überlieferungen glauben, nicht
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