Der Fluch von Melaten
normal.«
»Was heißt das?«
Frau Schlomann zuckte mit den Schultern. »Normalerweise brannten die Frauen immer sehr schnell, da sie ja noch die trockenen Lumpen am Leib trugen, bei den dreien war es jedoch anders. Ihre Körper wollten kaum Feuer fangen, und als es doch eintrat, da passierte etwas Seltsames. Da zersprühten sie wie ein Leuchtfeuer, und ihre Geister, so schrieb man, jagten in den dunklen Nachthimmel hinein. Ein Pfarrer, der die Hinrichtung begleitet hatte, ist selbst im Feuer umgekommen. Wie das passieren konnte, ist nie so genau geklärt worden.«
»Hebammen also«, wiederholte ich.
»Ja.«
»Dann müssen wir davon ausgehen, wenn stimmt, was überliefert wurde, dass diese drei Frauen – ich sage es mal vorsichtig – keine normalen Menschen gewesen sind.«
»Was waren sie dann?«
»Hebammen und...«
»Hexen?«
Ich nickte Petra Schlomann zu. »Wie immer Sie sie auch nennen wollen, das ist durchaus möglich.«
Frau Schlomann blies die Luft aus und rieb mit ihrer rechten Handfläche über den Nacken. Maria Wienand hatte uns kein einziges Mal unterbrochen. Es musste ihr die Sprache verschlagen haben. Sie stand neben uns wie eine Fremde und gab keinen Kommentar ab.
»Hebammen und Kinder«, sagte ich.
»Wie meinen Sie das, Herr Sinclair?«
»Justus Schmitz und auch Frau Wienand’s Mann wurden durch Geisterstimmen gerufen. Die Hebammen wollten etwas von ihnen, und wenn alles stimmt, wie es gesagt wurde, dann betrachteten die drei Geisterfrauen die Männer als ihre Söhne. Sie haben sie gerufen, sie wollten endlich, dass sie zu ihnen kamen, und genau das haben sie auch geschafft. Diese Hebammen mussten in der damaligen Zeit ein besonderes Verhältnis zu Kindern gehabt haben. Kennen Sie da vielleicht auch Einzelheiten, Frau Schlomann?«
»Das ist schwer.« Sie zögerte etwas. »Ich möchte auch nichts Falsches sagen.«
»Alles ist wichtig.«
»Ja, so sehen Sie das. Ich muss nur umdenken. Für mich hat es bisher keine Geister gegeben. Der Friedhof ist so etwas wie ein Arbeitsplatz. Ich kenne ihn als Melaten, und der soll plötzlich von einem Fluch behaftet sein?
»Ich kann leider nichts daran ändern.«
»Das weiß ich. Es soll auch kein Vorwurf gewesen sein. Um noch mal auf die Hebammen der damaligen Zeit zurückzukommen. Es ist in der Tat so gewesen, dass sie für gewöhnlich keine Frauen waren, die selbst Kinder zur Welt gebracht haben. Sie waren ledig, stellten sich aber in den Dienst der Sache. Ledige Frauen standen sowieso unter besonderer Beobachtung, wenn sie ein gewisses Alter erreicht hatten, und ich versuche jetzt, mich in die Psyche der Hebammen hineinzuversetzen. Bei Frauen ist der Wunsch nach Kindern immer sehr groß gewesen. Zumindest in der damaligen Zeit. Da machten sicherlich auch die Hebammen keine Ausnahme, denn man kann ihre Seelen und Gefühle nicht so einfach umkrempeln. Was ich jetzt denke und ausspreche, gehört ins Reich der Spekulation, aber vielleicht standen die drei Frauen tatsächlich mit dem Teufel im Bunde und haben die Totgeburten ihm geweiht. Das ist zwar grauenhaft, aber man muss eben alles in Betracht ziehen.«
»Gut gedacht«, lobte ich sie.
»Ach, hören Sie auf.«
»Nein, nein, das stimmt schon. Bleiben wir mal bei Marietta, Sibilla und Hanna. Sie haben irgendwann die Sehnsucht nach eigenen Kindern verspürt und dieses Gefühl nicht vertreiben können. Sie standen mit fremden Mächten im Bunde. Sie wollten Kinder haben, bekamen aber keine, auch nicht vom Teufel. Dann wurden sie verbrannt, doch ihre Geister existierten in einem Zwischenraum oder in einer Zwischenwelt weiter. Und die Sehnsucht ebenfalls. Deshalb haben sie sich entschlossen, sich Kinder zu holen, und das Jahrhunderte später.«
Petra Schlomann sah mich skeptisch an. »Kinder, sagen Sie?«
»Ja...«
»Bitte, Herr Sinclair. Das sind erwachsene Menschen und keine Kinder. Was soll das?«
Ich nickte. »Genau das ist auch mein Problem. Ich wollte es nur nicht ansprechen. Dann muss es einen anderen Grund geben, weshalb sich die Geister die Männer geholt haben. Ich habe damit meine Probleme, da bin ich ehrlich, auf der anderen Seite bin ich auch froh, dass es keine Kinder gewesen sind.«
»Warum hat man sie dann ausgesucht?«
Ich hob die Schultern und drehte mich zur Seite, um Maria Wienand anzusprechen, die die ganze Zeit über kein einziges Wort gesagt hatte und auch jetzt ins Leere schaute.
»Haben Sie alles mitbekommen?«, erkundigte ich mich.
»Ja, das habe ich.«
»Können
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