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Der Fluß

Der Fluß

Titel: Der Fluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ketil Bjørnstad
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für die Wochen ihres Aufenthaltes, sagt, sie werde immer dankbar sein.
    »Du wirst uns fehlen«, sagt die Pflegerin.
    »Ihr werdet mir auch fehlen«, sagt Marianne, »aber damit werde ich leben können.«
    Wir lachen alle drei. Ich merke, wie meine Schultern sich entspannen.

    Sie ist fast wie vorher, denke ich. Sie möchte Wein haben. Sie mag, was ich gekocht habe, Spaghetti carbonara, nach Rezept zubereitet und, wie ich meine, ganz schmackhaft. Siemöchte wieder Musik hören, sagt sie. Ich frage sie, was man in der Klinik mit ihr angestellt habe. Sie kenne sich doch in der Psychiatrie aus. Sie antwortet ausweichend, möchte am liebsten nicht darüber sprechen. Möchte lieber versuchen, zu vergessen.
    Wie lange sie denn krank geschrieben sei?
    Noch eine Woche.
    Und dann voll arbeiten?
    Nein, fünfzig Prozent.
    Ich bin froh darüber, ertappe mich aber gleichzeitig bei dem Gedanken, jetzt weniger Zeit allein zum Üben zu haben.
    Sie scheint meine Gedanken zu erraten:
    »Aber du kannst üben, Aksel. Ich habe genug zu tun. Ich habe mein Bürozimmer.«
    »Wenn du die Fotos verschwinden läßt«, sage ich. »Sie ziehen dich nur runter.«
    »Ja«, sagt sie ernst. »Du hast recht. Ich bin stark genug, um sie jetzt verschwinden zu lassen.«

    Wir sitzen und reden den ganzen Nachmittag und Abend.
    Möchte sie Musik hören?
    Ja, aber noch nicht. Nicht diesen ersten Abend.
    Irgend etwas stimmt trotzdem nicht, denke ich mit einer Faust im Magen.
    »Nimmst du immer noch Medikamente?« frage ich.
    »Ja«, sagt sie. »Warum fragst du?«
    »Was bewirken sie bei dir?«
    Sie streichelt meine Wange. »Sie stabilisieren mich, Aksel. Du brauchst keine Angst zu haben.«
    »Und wenn du sie nicht nimmst?«
    »Dann ist die Möglichkeit größer, daß ich wieder in die Depression falle.«
    »Aber du bist jetzt nicht deprimiert?«
    »Natürlich nicht. Sonst hätten sie mich nicht entlassen.«
    »Und du willst mich immer noch heiraten?«
    »Ja, mein Dummchen.« Sie küßt mich auf den Mund.

    Wir bleiben sitzen und planen die Hochzeit. Ich erzähle ihr, daß ich bereits bei der Botschaft in Wien angerufen und Freitag, den 23. April als Termin vereinbart habe. Wir brauchen allerdings die Geburtsurkunden. Sie nickt, wirkt erfreut und glücklich. Sie war noch nie in Wien. Wir reden nicht mehr darüber, daß sie mich stören könnte. Ich erzähle ihr von W. Gude, ohne die geplante Tournee zu erwähnen, die ich abgesagt habe. Ich rede über die Tage nach dem Debüt, an denen die Prominenz der klassischen Musik nach Bergen reist, an denen sie mich hoffentlich begleitet. Sie nickt und lächelt zu allem. Und als ich ihr von Selmas Wutanfall erzähle, wobei ich nicht erwähne, daß ich »Elven« spielte, überhaupt keinen konkreten Grund nenne, wird sie wirklich böse, wie das nur Marianne kann.
    »Ich mag Selma«, sagt sie. »Aber sie hat kein Recht, dich herumzukommandieren! Sie erinnert mich an manche Oberärzte, die den Menschen hinter der Krankheit vergessen. Du bist keine Spielfigur für sie. Du bist ein selbständiges Individuum, auch wenn du Student bist. Außerdem sind Menschen, die sich zum Richter über andere aufwerfen, unerträglich. Vielleicht ist sie unsicherer, als du ahnst. Etwas an ihrem Benehmen, der ständige Wechsel zwischen Vertraulichkeit und Schelte, erinnert mich an Psychopathen, und mit solchen habe ich, wie du weißt, häufig zu tun.«
    »Bror Skoog war ein Psychopath, sagtest du einmal.«
    »Ja und nein. Denn er hatte Empathie. Er hatte ein Gefühl für andere. Und vielleicht sind wir mit unserer Definition des Psychopathen noch nicht weit genug gekommen. Wir bezeichnen damit gewöhnlich Menschen mit einer starken Neigung zur Gefühllosigkeit, die über andere Macht ausüben. So wie ich es mit dir gemacht habe …«

    Es endet in einer Rangelei auf der Couch, und meine Instinkte melden sich, wollen mehr, aber ich merke, daß sie nicht bereit ist, und ziehe mich sofort zurück.
    »Entschuldige«, sagt sie, »ich glaube, es ist noch zu früh.« »Natürlich«, sage ich. »Du sollst nie das Gefühl haben, etwas zu müssen.«
    Ich denke daran, wo sie heute nacht schlafen wird. Ich denke daran, daß sie gesagt hat, sie sei gesund geschrieben. Was bedeutet das, gesund geschrieben sein?

    Aber als es Zeit ist, zu Bett zu gehen, und ich mich vor ihr im Bad fertig mache und brav in Anjas Bett lege, folgt sie mir kurz darauf.
    Sie schmiegt sich eng an mich, aber ich wage nicht, sie anzufassen.
    »Ich kann mit dir spielen«, sagt sie.

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