Der Frauenheld
Gespräch mit ihr schien wie ein Minenfeld, da er sich nicht sicher war, was er sagen würde.
Barbara schwieg, während sich in seinem Innern kurz alles zusammenzog, bevor er sich langsam zu entspannen begann. Er beschloß, nichts mehr zu sagen, und tat es auch nicht. Nach ein paar Minuten drehte sich Barbara zur Seite, in Richtung der Vorhänge. Die Straßenlampe leuchtete fahl durch die Stoffsäume, und Austin fragte sich, ob er sie irgendwie zum Weinen gebracht hatte, ohne es zu merken.
»Na gut«, sagte Barbara, »hoffentlich fühlst du dich morgen besser. Gute Nacht.«
»Gute Nacht«, sagte Austin. Und er überließ sich hilflos dem Schlaf, in dem Gefühl, daß er Barbara nicht sehr viel Freude bereitet hatte, daß er ein Mann war, der jetzt vermutlich niemandem sehr viel Freude bereitete, und daß in Wirklichkeit auch in seinem eigenen Leben all die Dinge, die ihn glücklich machen sollten und es auch immer getan hatten, ihm kaum noch irgendeine Freude bereiteten.
In den nächsten Tagen ging Austin wie gewöhnlich zur Arbeit. Er rief seine Kunden in Brüssel und Amsterdam an, um seine Abwesenheit zu erklären. Er erzählte einem Mann, den er seit zehn Jahren kannte und sehr respektierte, daß Ärzte eine ziemlich »rätselhafte Entzündung« im oberen Viertel seines Magens entdeckt hatten, aber daß es begründete Hoffnung gab, daß eine Operation mit Hilfe von Medikamenten vermieden werden könnte. Er versuchte, auf den Namen eines Medikaments zu kommen, das er angeblich nahm, aber ihm fiel nichts ein. Später fühlte er sich elend, daß er eine solch sinnlose Lüge erzählt hatte, und machte sich Sorgen, daß der Mann seinem Chef gegenüber etwas erwähnen könnte.
Er fragte sich, während er auf die elegant gerahmte Azimut-Karte starrte, die Barbara ihm geschenkt hatte, als man ihn befördert und ihm die Verantwortung für die europäischen Kunden übertragen hatte, und die nun hinter seinem Schreibtisch hing, mit winzigen roten Wimpeln die Orte markiert, an denen er die Marktanteile der Firma erhöht hatte – Brüssel, Amsterdam, Düsseldorf, Paris –, er fragte sich, ob ihm sein Leben, das einfache Weitermachen, aus den Händen glitt, ganz langsam, so daß er es nicht bemerkte. Aber er kam zu dem Schluß, daß es das nicht tat, und als Beweis führte er sich selbst gegenüber die Tatsache an, daß er diese Überlegung in seinem Büro anstellte, an einem gewöhnlichen Arbeitstag, an dem alles in seinem Leben wohlgeordnet war und voranging, und nicht in irgendeinem Pariser Straßencafé im trüben Nachklang einer Katastrophe; ein Mann mit schmutzigem Revers, der sich unbedingt rasieren müßte und kein Bargeld mehr hat, seine trübsinnigen Gedanken in ein winziges Notizheft kritzelnd, wie all die anderen Trottel, die er gesehen hatte und die ihr Leben verplempert hatten. Dieses Gefühl jetzt, diese Empfindung der Schwere und daß sein Leben ins Trudeln geriet, war tatsächlich ein Gefühl der Wachsamkeit, da er die Last der Verantwortung angenommen hatte, und es war der Beweis, daß es nie einfach war, sein Leben zu einem erfolgreichen Abschluß zu führen.
Am Dienstag, sofort, nachdem er sein Büro betreten hatte, rief er bei Josephine im Verlag an. Er hatte beinahe jede Minute an sie gedacht, an ihre kleinen, irgendwie unregelmäßigen, aber aufreizenden Züge, ihren jungenhaften Gang, bei dem ihre Fußspitzen nach außen zeigten, wie bei einem Bauerntrampel. Aber auch an ihre weiche dunkle Haut und ihre weichen Arme und ihre flüsternde Stimme, die er immer wieder hörte. »Nein, nein, nein, nein, nein.«
»Hallo, ich bin’s«, sagte Austin. Es gab diesmal eine lange Verzögerung in der Verbindung, und er konnte das Echo seiner Stimme in der Leitung hören. Er klang nicht so, wie er klingen wollte. Seine Stimme war höher, wie die eines Kindes.
»Okay. Hallo«, war alles, was sie sagte. Sie raschelte mit irgendwelchen Unterlagen, eine Angewohnheit, die ihn ärgerte.
»Ich habe immer an dich denken müssen«, sagte Austin. Eine lange Pause folgte nach dieser Erklärung, und er ertrug sie voller Unbehagen.
»Ja«, sagte sie, dann wieder eine Pause. »Ich auch. Wie geht es dir?«
»Gut«, sagte Austin, obwohl er das nicht betonen wollte. Er wollte betonen, daß er sie vermißte. »Ich vermisse dich«, sagte er und fühlte sich kläglich, als er im Echo seine Stimme vernahm.
»Ja«, sagte sie schließlich, wenn auch lustlos. »Ich auch.«
Austin war sich nicht sicher, ob sie wirklich gehört
Weitere Kostenlose Bücher