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Der Frauenheld

Der Frauenheld

Titel: Der Frauenheld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
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hatte, was er gesagt hatte. Möglicherweise sprach sie überhaupt mit jemand anderem, irgend jemandem im Büro. Er fühlte sich verwirrt und überlegte, ob er einfach auflegen sollte. Aber er wußte, wie er sich fühlen würde, wenn das geschah. Miserabler, als er es sich vorstellen konnte. Er mußte jetzt durchhalten, oder er würde sich am Ende ohnehin miserabel fühlen. »Ich würde dich sehr gerne wiedersehen«, sagte Austin, sein Ohr an den Hörer gepreßt.
    »Ja«, sagte Josephine. »Komm und geh mit mir heute abend essen.« Sie lachte ein hartes, ironisches Lachen. Er fragte sich, ob sie das gesagt hatte, weil irgend jemand mithörte, irgend jemand in ihrem Büro, der alles über ihn wußte und dachte, er sei ein Idiot. Er hörte wieder das Rascheln von Papier. Er fühlte, wie sich alles drehte.
    »Ich meine es ernst«, sagte er. »Ich würde es tun.«
    »Wann kommst du wieder nach Paris?« sagte sie.
    »Ich weiß es nicht. Aber sehr bald, hoffe ich.« Er wußte nicht, warum er das gesagt hatte, weil es nicht stimmte, oder zumindest keinen Plänen entsprach, die er derzeit hegte. Aber in diesem Moment schien es möglich. Alles war möglich. Und dies schien in der Tat sehr bald möglich, obwohl er keine Ahnung hatte, wie. Frankreich war nicht Wisconsin. Man beschloß nicht, mal eben fürs Wochenende dorthin zu fahren.
    »Also. Ruf mich an, denke ich«, sagte Josephine. »Ich würde dich wiedersehen.«
    »Das werde ich«, sagte Austin, dessen Herz bereits begonnen hatte, laut zu schlagen. »Wenn ich komme, rufe ich dich an.«
    Er wollte sie etwas fragen. Er wußte aber nicht, was. Er wußte überhaupt nicht, was er fragen sollte. »Wie geht’s Leo?« sagte er, wobei er den Namen englisch aussprach. Josephine lachte, aber nicht ironisch. »Wie geht’s Leo?« sagte sie und sprach es so aus wie er. »Leo geht’s gut. Er ist zu Hause. Bald gehe ich auch nach Hause. Das ist alles.«
    »Gut«, sagte Austin. »Das ist wunderbar.« Er wirbelte mit seinem Stuhl herum und musterte Paris auf der Karte. Er war wie jedes Mal wieder überrascht darüber, daß es so dicht an der nördlichen Grenze Frankreichs lag, statt – so, wie er es sich immer vorstellte – genau in der Mitte. Er wollte sie plötzlich fragen, warum sie ihn in der letzten Nacht, nachdem er mit ihr ausgegangen war, nicht angerufen hatte, womit er ihr sagen wollte, daß er gehofft hatte, sie würde anrufen, aber dann fiel ihm ein, daß bei ihr besetzt gewesen war, und er wollte wissen, mit wem sie telefoniert hatte. Aber das konnte er sie nicht fragen. Es ging ihn nichts an.
    »Schön«, sagte er. Und er wußte, in fünf Sekunden wäre der Anruf vorbei, und Paris wäre auf der Stelle so weit von Chicago entfernt wie immer. Er sagte beinahe »Ich liebe dich« in den Hörer. Aber das wäre ein Fehler, und er sagte es nicht, obwohl es einen Teil von ihm wie verrückt danach verlangte. Dann sagte er es beinahe auf französisch, weil er dachte, daß es dann möglicherweise weniger bedeutete als auf englisch. Aber wieder hielt er sich zurück. »Ich möchte dich sehr gern wiedersehen«, sagte er, als einen letzten schwachen Kompromiß all dessen, was er eigentlich hatte sagen wollen.
    »Also. Komm mich wiedersehen. Ich küsse dich«, sagte Josephine Belliard, aber mit einer fremden Stimme, einer Stimme, die er nie zuvor gehört hatte, einer beinahe emotionalen Stimme. Dann legte sie leise auf.
    Austin saß an seinem Schreibtisch und starrte auf die Karte, fragte sich, was es mit dieser Stimme wohl auf sich hatte, was sie bedeutete, wie er sie interpretieren sollte. War es die Stimme der Liebe oder irgendein seltsamer Trick der Telefonleitung? Oder bloß irgendein Trick seines Ohrs, das ihm etwas suggerierte, was er hören wollte, und ihm so die Chance gab, sich nicht so miserabel zu fühlen, wie er erwartet hatte, und wirklich, er fühlte sich nicht schlecht. Er fühlte sich jetzt wunderbar. Er war ganz überschwenglich. So gut hatte er sich, seit er sie das letzte Mal gesehen hatte, nicht mehr gefühlt. So lebendig. Und das war doch nicht falsch, oder? Wenn irgend etwas dafür sorgt, daß man sich einen Augenblick lang gut fühlt und es niemandem weh tut, warum sollte man es sich dann verbieten? Und wofür? Die Jungs, mit denen er aufs College gegangen war, die nie von dem Weg, den sie einmal eingeschlagen hatten, abgewichen waren, hatten nie auch nur einen Augenblick so ein überschwengliches Gefühl und kannten den Unterschied auch gar nicht. Er aber kannte

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