Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Frauenheld

Der Frauenheld

Titel: Der Frauenheld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Ford
Vom Netzwerk:
ich ja jetzt keinen Ehemann.«
    Er platzte beinahe damit heraus, daß sie es gewesen sei, die gegangen war, nicht er, daß sie die ganze Sache tatsächlich verursacht habe. Aber das stimmte nicht ganz, und wenn er jetzt etwas dazu sagte, würde das in jedem Fall ein Gespräch nach sich ziehen, das er nicht führen wollte und das niemand bei einer solchen Entfernung überhaupt führen konnte. Es würde bloß zu Gezänk und Meckerei und Verärgerung führen. Auf einmal merkte er, daß er sonst nichts zu sagen hatte, und wurde nervös. Er hatte nur mitteilen wollen, daß er lebte und nicht tot war, und wollte jetzt eigentlich wieder auflegen. »Du bist in Frankreich, nicht wahr?«
    »Ja«, sagte Austin. »Das stimmt. Warum?«
    »Ich dachte es mir schon«, sagte Barbara, als ob sie dieser Gedanke anwiderte. »Warum nicht, meine ich? Richtig?«
    »Richtig«, sagte Austin.
    »Na denn. Komm wieder nach Hause, wenn du, was immer es ist, wie immer sie heißt, satt hast.« Sie sagte das sehr sanft.
    »Vielleicht tue ich das«, sagte Austin.
    »Vielleicht warte ich auch drauf«, sagte Barbara. »Wunder passieren immer wieder. Obwohl du mir die Augen geöffnet hast.«
    »Großartig«, sagte er und fing an, etwas anderes zu sagen, dachte aber, er hätte gehört, wie sie auflegte. »Hallo?« sagte er. »Hallo? Barbara, bist du noch dran?«
    »Ach, scher dich zum Teufel«, sagte Barbara, und dann legte sie wirklich auf.
    Zwei Tage lang unternahm Austin lange, anstrengende Spaziergänge in vollkommen willkürliche Richtungen, war jedesmal selbst überrascht, wo er landete, und nahm dann ein Taxi zurück zu seiner Wohnung. Sein Instinkt trog ihn immer noch häufig, was ihn frustrierte. Er dachte, daß der Place de la Concorde weiter von seiner Wohnung entfernt sei, als er dann tatsächlich war, und außerdem in der entgegengesetzten Richtung. Er konnte sich nicht immer daran erinnern, wie der Fluß verlief. Immer wieder kam er unglücklich an denselben Straßen, demselben Kino, in dem Cinema Paradiso lief, und demselben Kiosk vorbei, als ob er dauernd im Kreis ging.
    Er rief den zweiten Freund an, einen Mann namens Hank Bullard, der einmal für Lilienthal gearbeitet hatte, dann aber beschlossen hatte, seine eigene Air-Conditioning-Firma in Vitry aufzumachen. Er hatte eine Französin geheiratet und wohnte in einem Vorort. Sie verabredeten sich zum Lunch, aber dann sagte Hank aus geschäftlichen Gründen ab – er müsse dringend verreisen. Hank sagte, sie sollten einen anderen Termin finden, machte aber keinen konkreten Vorschlag. Schließlich aß Austin allein zu Mittag in einer teuren Brasserie an der rue Montparnasse – hinterm Fenster versuchte er, Le Monde zu lesen, wurde aber immer mutloser, als die Zahl der Worte, die er nicht verstand, sich häufte. Er konnte die Herald Tribune lesen, dachte er, um mit der Welt Schritt zu halten, und seine Französischkenntnisse allmählich steigern.
    Es waren sogar noch mehr Touristen da als vor einer Woche. Jetzt begann die Saison, und die ganze Stadt, dachte er, würde sich wahrscheinlich verändern und unerträglich werden. Er fand, daß die Franzosen und die Amerikaner sich vollkommen glichen und daß nur ihre Sprache und einige Eigenschaften, die man nicht sehen konnte, sie unterschieden. Austin saß hinter seinem winzigen runden Brasserietisch, von den vorbeiströmenden Passanten abgetrennt, und dachte, daß die Straße voller Menschen sei, die, während sie an ihm vorbeiliefen, davon träumten, genau das zu tun, was er getan hatte, nämlich ihre Sachen zu packen und alles hinter sich zu lassen, hierherzukommen, in Cafés zu sitzen, durch die Straßen zu gehen und möglicherweise einen Roman zu schreiben oder Aquarelle zu malen oder bloß eine Air-Conditioning-Firma zu gründen wie Hank Bullard. Aber dafür mußte man einen Preis zahlen. Und der Preis war, daß es überhaupt nicht romantisch war, wenn man es dann tat. Es wirkte ziellos, so, als ob er selbst kein Ziel habe, und er hatte jetzt kein Gefühl für die Zukunft mehr – so wie er sonst immer Zukunft erlebt hatte als etwas Greifbares, dem man selbstsicher entgegensah, auch wenn das, was auf einen zukam, vielleicht traurig war oder tragisch oder nicht wünschenswert. Sie war natürlich immer noch da. Aber er wußte nicht, wie er sie sich vorstellen sollte. Er wußte zum Beispiel nicht genau, warum er eigentlich in Paris war, obwohl er genau rekonstruieren konnte, was ihn hierhergeführt hatte, an diesen Tisch, vor diesen Teller

Weitere Kostenlose Bücher